gutfindet. Und zwar dies in allen Schriften, über jeden Gegenstand: Recen- sionen fremder Bücher nicht ausgenom- men. Denn wie hätte ich ein Recht, Anonymie zu verlangen, wo ich mich vors Publicum dränge, und zu ihm meine Stimme erhebe? Einen freiwilligen Lehrer der Welt und Nachwelt muß man kennen; er muß sich, wenn ihm Pflicht, Recht und Wahrheit lieb ist, nicht verbergen. Ein Mann, der öffentlich spricht, stehet für sein Wort; sonst nennet man ihn einen Feigen oder Lügner. Mit diesem einzi- gen leichten, wie mich dünkt nicht unge- rechten Mittel, wie mancher Keckheit, wie mancher Verläumdung würde vorgebeugt, die jetzt blos hinter der Anonymie Schutz sucht. Wie vorsichtiger, überdachter und gehöriger würde man zum Publicum spre- chen, wenn man wüßte, daß man nicht
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gutfindet. Und zwar dies in allen Schriften, uͤber jeden Gegenſtand: Recen- ſionen fremder Buͤcher nicht ausgenom- men. Denn wie haͤtte ich ein Recht, Anonymie zu verlangen, wo ich mich vors Publicum draͤnge, und zu ihm meine Stimme erhebe? Einen freiwilligen Lehrer der Welt und Nachwelt muß man kennen; er muß ſich, wenn ihm Pflicht, Recht und Wahrheit lieb iſt, nicht verbergen. Ein Mann, der oͤffentlich ſpricht, ſtehet fuͤr ſein Wort; ſonſt nennet man ihn einen Feigen oder Luͤgner. Mit dieſem einzi- gen leichten, wie mich duͤnkt nicht unge- rechten Mittel, wie mancher Keckheit, wie mancher Verlaͤumdung wuͤrde vorgebeugt, die jetzt blos hinter der Anonymie Schutz ſucht. Wie vorſichtiger, uͤberdachter und gehoͤriger wuͤrde man zum Publicum ſpre- chen, wenn man wuͤßte, daß man nicht
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gutfindet. Und zwar dies in allen
Schriften, uͤber jeden Gegenſtand: Recen-
ſionen fremder Buͤcher nicht ausgenom-
men. Denn wie haͤtte ich ein Recht,
Anonymie zu verlangen, wo ich mich vors
Publicum draͤnge, und zu ihm meine
Stimme erhebe? Einen freiwilligen Lehrer
der Welt und Nachwelt muß man kennen;
er muß ſich, wenn ihm Pflicht, Recht und
Wahrheit lieb iſt, nicht verbergen. Ein
Mann, der oͤffentlich ſpricht, ſtehet fuͤr
ſein Wort; ſonſt nennet man ihn einen
Feigen oder Luͤgner. Mit dieſem einzi-
gen leichten, wie mich duͤnkt nicht unge-
rechten Mittel, wie mancher Keckheit, wie
mancher Verlaͤumdung wuͤrde vorgebeugt,
die jetzt blos hinter der Anonymie Schutz
ſucht. Wie vorſichtiger, uͤberdachter und
gehoͤriger wuͤrde man zum Publicum ſpre-
chen, wenn man wuͤßte, daß man nicht
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/130>, abgerufen am 16.07.2024.
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