Das Idyll der Alten, (ein unbestimm- ter Name,) hat mit dem Verfolg der Zei- ten sich gleichsam willkührlich zu Land- Schäfer-Hirten-Fischergedichten, kurz in Gesellschaften zurückgezogen, in denen ohne politische Kunst die unschuldige Natur re- gieret. Manche von Bions, Moschus, Theokrits Gesängen gehören dahin; und die neuere Poesie, wenn sie der politischen Welt und der wohllüstigen Kreise satt war, hat ihr Daseyn dahin verleget. Virgil, dessen meiste Eclogen bloße Nachbildungen sind, entbrach sich nicht, in seinem Tity- rus, Pollio, Silen diese reizende Dichtung als eine Einfassung höherer Vor- stellungen zu gebrauchen.
Daher als in den mittleren Zeiten die Poesie wieder auflebte, erinnerte sie sich bald ihres ehemaligen wahren Geburts- landes unter Pflanzen und Blumen. Die
Das Idyll der Alten, (ein unbeſtimm- ter Name,) hat mit dem Verfolg der Zei- ten ſich gleichſam willkuͤhrlich zu Land- Schaͤfer-Hirten-Fiſchergedichten, kurz in Geſellſchaften zuruͤckgezogen, in denen ohne politiſche Kunſt die unſchuldige Natur re- gieret. Manche von Bions, Moſchus, Theokrits Geſaͤngen gehoͤren dahin; und die neuere Poeſie, wenn ſie der politiſchen Welt und der wohlluͤſtigen Kreiſe ſatt war, hat ihr Daſeyn dahin verleget. Virgil, deſſen meiſte Eclogen bloße Nachbildungen ſind, entbrach ſich nicht, in ſeinem Tity- rus, Pollio, Silen dieſe reizende Dichtung als eine Einfaſſung hoͤherer Vor- ſtellungen zu gebrauchen.
Daher als in den mittleren Zeiten die Poeſie wieder auflebte, erinnerte ſie ſich bald ihres ehemaligen wahren Geburts- landes unter Pflanzen und Blumen. Die
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Das Idyll der Alten, (ein unbeſtimm-
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ten ſich gleichſam willkuͤhrlich zu Land-
Schaͤfer-Hirten-Fiſchergedichten, kurz in
Geſellſchaften zuruͤckgezogen, in denen ohne
politiſche Kunſt die unſchuldige Natur re-
gieret. Manche von Bions, Moſchus,
Theokrits Geſaͤngen gehoͤren dahin; und
die neuere Poeſie, wenn ſie der politiſchen
Welt und der wohlluͤſtigen Kreiſe ſatt war,
hat ihr Daſeyn dahin verleget. Virgil,
deſſen meiſte Eclogen bloße Nachbildungen
ſind, entbrach ſich nicht, in ſeinem Tity-
rus, Pollio, Silen dieſe reizende
Dichtung als eine Einfaſſung hoͤherer Vor-
ſtellungen zu gebrauchen.
Daher als in den mittleren Zeiten die
Poeſie wieder auflebte, erinnerte ſie ſich
bald ihres ehemaligen wahren Geburts-
landes unter Pflanzen und Blumen. Die
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794/80>, abgerufen am 16.02.2025.
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