Statt. Will man vorsetzliche Bosheit ehr- erbietig unterrichten, den Wolf bitten, die Schaafe nicht zu fressen, so wird Bosheit durch die Ehre gestärkt, und andre zu glei- cher Bosheit gereizt; bonis nocet, malis qui parcit.
Wie unzeitige Barmherzigkeit der ärgste Grimm ist: so stiftet unzeitige Ehrerbietung weit mehr Unglück als unnöthiger, allzu- großer Zorn. Der Päbstler mörderischer Eifer hat mit Geißeln, Martern, Brennen die Welt nicht so verderbt, als die heim- liche Herrschsucht der bescheidnen Höflichen, der heiligen Heuchler tückische oder dumme Sanftmuth. Wie die abgedroschne Predigt von der Freiheit eine Eitelkeit ist: so ists mit dem Senf der Bescheidenheit ein herber Betrug, daran ein Aufrichtiger sich nicht kehret. Den Betrüger einen Betrüger zu nennen, gehört nicht nur zur
Statt. Will man vorſetzliche Bosheit ehr- erbietig unterrichten, den Wolf bitten, die Schaafe nicht zu freſſen, ſo wird Bosheit durch die Ehre geſtaͤrkt, und andre zu glei- cher Bosheit gereizt; bonis nocet, malis qui parcit.
Wie unzeitige Barmherzigkeit der aͤrgſte Grimm iſt: ſo ſtiftet unzeitige Ehrerbietung weit mehr Ungluͤck als unnoͤthiger, allzu- großer Zorn. Der Paͤbſtler moͤrderiſcher Eifer hat mit Geißeln, Martern, Brennen die Welt nicht ſo verderbt, als die heim- liche Herrſchſucht der beſcheidnen Hoͤflichen, der heiligen Heuchler tuͤckiſche oder dumme Sanftmuth. Wie die abgedroſchne Predigt von der Freiheit eine Eitelkeit iſt: ſo iſts mit dem Senf der Beſcheidenheit ein herber Betrug, daran ein Aufrichtiger ſich nicht kehret. Den Betruͤger einen Betruͤger zu nennen, gehoͤrt nicht nur zur
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Statt. Will man vorſetzliche Bosheit ehr-
erbietig unterrichten, den Wolf bitten, die
Schaafe nicht zu freſſen, ſo wird Bosheit
durch die Ehre geſtaͤrkt, und andre zu glei-
cher Bosheit gereizt; bonis nocet, malis
qui parcit.
Wie unzeitige Barmherzigkeit der aͤrgſte
Grimm iſt: ſo ſtiftet unzeitige Ehrerbietung
weit mehr Ungluͤck als unnoͤthiger, allzu-
großer Zorn. Der Paͤbſtler moͤrderiſcher
Eifer hat mit Geißeln, Martern, Brennen
die Welt nicht ſo verderbt, als die heim-
liche Herrſchſucht der beſcheidnen Hoͤflichen,
der heiligen Heuchler tuͤckiſche oder dumme
Sanftmuth. Wie die abgedroſchne Predigt
von der Freiheit eine Eitelkeit iſt: ſo
iſts mit dem Senf der Beſcheidenheit
ein herber Betrug, daran ein Aufrichtiger
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Betruͤger zu nennen, gehoͤrt nicht nur zur
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet04_1794/16>, abgerufen am 16.02.2025.
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