Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 4. Riga, 1794.Gegenstande der Moral macht, wenn er an Gegenſtande der Moral macht, wenn er an <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0146" n="141"/> Gegenſtande der Moral macht, wenn er an<lb/> ſich und an ſeine Freunde im Ton der<lb/> Vertraulichkeit mit leichter Hand das ſchaͤrf-<lb/> ſte Richtmaas leget, und die Heuchelei, den<lb/> Aberglauben, den Sittenſtolz, den Wahn<lb/> und Duͤnkel von uns lieber fortlaͤchelt als<lb/> fortgeiſſelt, wenn er an ſich und andern<lb/> zeigt, daß man nicht im Aether hoher<lb/> Maximen ſchweben, ſondern auf der Erde<lb/> bleiben und taͤglich in Kleinigkeiten auf<lb/> ſeiner Hut ſeyn muͤſſe, um nicht mit der<lb/> Zeit ein Unmenſch zu werden; wer kann<lb/> dem Dichter da den Fleiß vergelten, den er,<lb/> damit ſeine zarten Sittengemaͤlde der Nach-<lb/> welt werth wuͤrden, auf ſie als auf wirk-<lb/> liche Kunſtwerke gewandt hat? Dieſe Kunſt-<lb/> werke ſind nicht nur lebendig, ſondern<lb/> auch belebend; ihr moraliſcher Geiſt geht<lb/> in uns uͤber; wir lernen an ihnen nicht<lb/> dichten, ſondern denken und handeln.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [141/0146]
Gegenſtande der Moral macht, wenn er an
ſich und an ſeine Freunde im Ton der
Vertraulichkeit mit leichter Hand das ſchaͤrf-
ſte Richtmaas leget, und die Heuchelei, den
Aberglauben, den Sittenſtolz, den Wahn
und Duͤnkel von uns lieber fortlaͤchelt als
fortgeiſſelt, wenn er an ſich und andern
zeigt, daß man nicht im Aether hoher
Maximen ſchweben, ſondern auf der Erde
bleiben und taͤglich in Kleinigkeiten auf
ſeiner Hut ſeyn muͤſſe, um nicht mit der
Zeit ein Unmenſch zu werden; wer kann
dem Dichter da den Fleiß vergelten, den er,
damit ſeine zarten Sittengemaͤlde der Nach-
welt werth wuͤrden, auf ſie als auf wirk-
liche Kunſtwerke gewandt hat? Dieſe Kunſt-
werke ſind nicht nur lebendig, ſondern
auch belebend; ihr moraliſcher Geiſt geht
in uns uͤber; wir lernen an ihnen nicht
dichten, ſondern denken und handeln.
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