Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Zu wünschen wäre es, daß der Verfasser
sich durchaus auf diesem strengen Pfade
gehalten hätte. Da er aber das sogenannte
System der Vollkommenheiten als
Grund der Moral annimmt: so wird sein
Gebäude hie und da schwankend. Aller-
dings vervollkommt uns die Ausübung
der Pflicht; nicht aber müssen wir sie thun,
um über Gewinn an Vollkommenheiten zu
markten. Das Gebot heißt: Du sollt!
nicht: Du wirst! welches bloß eine höfli-
che Bettelei wäre.

Sie halten vielleicht dies schöne Lehr-
gedicht für ein Manuscript; leider ists seit
seiner Bekanntmachung im Jahr 1758.
für Viele ein Manuscript geblieben. Es
heißt "Lichtwehrs Recht der Ver-
nunft," und scheint unsrer poetischen
Welt so veraltet, wie Hallers, Hage-
dorns, Kästners, Uz, Witthofs,

Zu wuͤnſchen waͤre es, daß der Verfaſſer
ſich durchaus auf dieſem ſtrengen Pfade
gehalten haͤtte. Da er aber das ſogenannte
Syſtem der Vollkommenheiten als
Grund der Moral annimmt: ſo wird ſein
Gebaͤude hie und da ſchwankend. Aller-
dings vervollkommt uns die Ausuͤbung
der Pflicht; nicht aber muͤſſen wir ſie thun,
um uͤber Gewinn an Vollkommenheiten zu
markten. Das Gebot heißt: Du ſollt!
nicht: Du wirſt! welches bloß eine hoͤfli-
che Bettelei waͤre.

Sie halten vielleicht dies ſchoͤne Lehr-
gedicht fuͤr ein Manuſcript; leider iſts ſeit
ſeiner Bekanntmachung im Jahr 1758.
fuͤr Viele ein Manuſcript geblieben. Es
heißt „Lichtwehrs Recht der Ver-
nunft,“ und ſcheint unſrer poetiſchen
Welt ſo veraltet, wie Hallers, Hage-
dorns, Kaͤſtners, Uz, Witthofs,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0083" n="74"/>
        <p>Zu wu&#x0364;n&#x017F;chen wa&#x0364;re es, daß der Verfa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x017F;ich durchaus auf die&#x017F;em &#x017F;trengen Pfade<lb/>
gehalten ha&#x0364;tte. Da er aber das &#x017F;ogenannte<lb/><hi rendition="#g">Sy&#x017F;tem der Vollkommenheiten</hi> als<lb/>
Grund der Moral annimmt: &#x017F;o wird &#x017F;ein<lb/>
Geba&#x0364;ude hie und da &#x017F;chwankend. Aller-<lb/>
dings vervollkommt uns die Ausu&#x0364;bung<lb/>
der Pflicht; nicht aber mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir &#x017F;ie thun,<lb/>
um u&#x0364;ber Gewinn an Vollkommenheiten zu<lb/>
markten. Das Gebot heißt: <hi rendition="#g">Du &#x017F;ollt</hi>!<lb/>
nicht: <hi rendition="#g">Du wir&#x017F;t</hi>! welches bloß eine ho&#x0364;fli-<lb/>
che Bettelei wa&#x0364;re.</p><lb/>
        <p>Sie halten vielleicht dies &#x017F;cho&#x0364;ne Lehr-<lb/>
gedicht fu&#x0364;r ein Manu&#x017F;cript; leider i&#x017F;ts &#x017F;eit<lb/>
&#x017F;einer Bekanntmachung im Jahr 1758.<lb/>
fu&#x0364;r Viele ein Manu&#x017F;cript geblieben. Es<lb/>
heißt &#x201E;<hi rendition="#g">Lichtwehrs Recht der Ver</hi>-<lb/><hi rendition="#g">nunft</hi>,&#x201C; und &#x017F;cheint un&#x017F;rer poeti&#x017F;chen<lb/>
Welt &#x017F;o veraltet, wie <hi rendition="#g">Hallers</hi>, <hi rendition="#g">Hage</hi>-<lb/><hi rendition="#g">dorns</hi>, <hi rendition="#g">Ka&#x0364;&#x017F;tners</hi>, <hi rendition="#g">Uz</hi>, <hi rendition="#g">Witthofs</hi>,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0083] Zu wuͤnſchen waͤre es, daß der Verfaſſer ſich durchaus auf dieſem ſtrengen Pfade gehalten haͤtte. Da er aber das ſogenannte Syſtem der Vollkommenheiten als Grund der Moral annimmt: ſo wird ſein Gebaͤude hie und da ſchwankend. Aller- dings vervollkommt uns die Ausuͤbung der Pflicht; nicht aber muͤſſen wir ſie thun, um uͤber Gewinn an Vollkommenheiten zu markten. Das Gebot heißt: Du ſollt! nicht: Du wirſt! welches bloß eine hoͤfli- che Bettelei waͤre. Sie halten vielleicht dies ſchoͤne Lehr- gedicht fuͤr ein Manuſcript; leider iſts ſeit ſeiner Bekanntmachung im Jahr 1758. fuͤr Viele ein Manuſcript geblieben. Es heißt „Lichtwehrs Recht der Ver- nunft,“ und ſcheint unſrer poetiſchen Welt ſo veraltet, wie Hallers, Hage- dorns, Kaͤſtners, Uz, Witthofs,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/83
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/83>, abgerufen am 24.11.2024.