stößt mehr zurück, als Gefühllose, stolze Härte. Ein Betragen, als ob man höhe- ren Stammes und ganz andrer, oder gar eigner Art sei, erbittert Jeden, und ziehet dem Uebermenschen das unvermeidliche Ue- bel zu, daß sein Herz ungebrochen, leer, und ungebildet bleibt, daß Jedermann zu- letzt ihn hasset oder verachtet.
So nothwendig indessen eine menschli- che Lindigkeit und Milde gegen die Fehler und Leiden unsrer Nebengeschöpfe bleibt: so muß sie doch, wenn sie zu weich und ausschließend wird, den Charakter er- schlaffen, und kann eben dadurch die här- teste Grausamkeit werden. Ohne Gerech- tigkeit bestehet Billigkeit nicht; eine Nach- sicht ohne Einsicht der Schwächen und Fehler ist eine Verzärtelung, die eiternde Wunden mit Rosen bedeckt, und eben da- durch Schmerzen und Gefahr mehrt.
ſtoͤßt mehr zuruͤck, als Gefuͤhlloſe, ſtolze Haͤrte. Ein Betragen, als ob man hoͤhe- ren Stammes und ganz andrer, oder gar eigner Art ſei, erbittert Jeden, und ziehet dem Uebermenſchen das unvermeidliche Ue- bel zu, daß ſein Herz ungebrochen, leer, und ungebildet bleibt, daß Jedermann zu- letzt ihn haſſet oder verachtet.
So nothwendig indeſſen eine menſchli- che Lindigkeit und Milde gegen die Fehler und Leiden unſrer Nebengeſchoͤpfe bleibt: ſo muß ſie doch, wenn ſie zu weich und ausſchließend wird, den Charakter er- ſchlaffen, und kann eben dadurch die haͤr- teſte Grauſamkeit werden. Ohne Gerech- tigkeit beſtehet Billigkeit nicht; eine Nach- ſicht ohne Einſicht der Schwaͤchen und Fehler iſt eine Verzaͤrtelung, die eiternde Wunden mit Roſen bedeckt, und eben da- durch Schmerzen und Gefahr mehrt.
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ſtoͤßt mehr zuruͤck, als Gefuͤhlloſe, ſtolze
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ren Stammes und ganz andrer, oder gar
eigner Art ſei, erbittert Jeden, und ziehet
dem Uebermenſchen das unvermeidliche Ue-
bel zu, daß ſein Herz ungebrochen, leer,
und ungebildet bleibt, daß Jedermann zu-
letzt ihn haſſet oder verachtet.
So nothwendig indeſſen eine menſchli-
che Lindigkeit und Milde gegen die
Fehler und Leiden unſrer Nebengeſchoͤpfe
bleibt: ſo muß ſie doch, wenn ſie zu weich
und ausſchließend wird, den Charakter er-
ſchlaffen, und kann eben dadurch die haͤr-
teſte Grauſamkeit werden. Ohne Gerech-
tigkeit beſtehet Billigkeit nicht; eine Nach-
ſicht ohne Einſicht der Schwaͤchen und
Fehler iſt eine Verzaͤrtelung, die eiternde
Wunden mit Roſen bedeckt, und eben da-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/59>, abgerufen am 16.02.2025.
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