behrliche Tugend empfehlen, daß es sehr ungerecht wäre, ihnen Humanität abzu- sprechen, weil sie dies Wort nicht be- saßen.
Die Griechen hatten für den Menschen einen edleren Namen: anthropos ein Auf- wärtsblickender, der sein Antlitz und Auge aufrecht empor trägt, oder wie Plato es noch künstlicher deutet, Einer, der, in- dem er sieht, auch überzählt und rechnet. Sie konnten indessen eben so wenig um- hin, in diesem aufrechtblickenden, Vernunft- artigen Geschlecht alle die Mängel zu be- merken, die zum bedaurenden Mitgefühl, also zur Humanität und zur Gesellung führen. In Homer und allen ihren Dich- tern kommen die zärtlichsten Klagen über das Loos der Menschheit vor. Erinnern Sie sich der Worte Apolls, wenn er die armen Sterblichen beschreibt,
behrliche Tugend empfehlen, daß es ſehr ungerecht waͤre, ihnen Humanitaͤt abzu- ſprechen, weil ſie dies Wort nicht be- ſaßen.
Die Griechen hatten fuͤr den Menſchen einen edleren Namen: ανϑϱωπος ein Auf- waͤrtsblickender, der ſein Antlitz und Auge aufrecht empor traͤgt, oder wie Plato es noch kuͤnſtlicher deutet, Einer, der, in- dem er ſieht, auch uͤberzaͤhlt und rechnet. Sie konnten indeſſen eben ſo wenig um- hin, in dieſem aufrechtblickenden, Vernunft- artigen Geſchlecht alle die Maͤngel zu be- merken, die zum bedaurenden Mitgefuͤhl, alſo zur Humanitaͤt und zur Geſellung fuͤhren. In Homer und allen ihren Dich- tern kommen die zaͤrtlichſten Klagen uͤber das Loos der Menſchheit vor. Erinnern Sie ſich der Worte Apolls, wenn er die armen Sterblichen beſchreibt,
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behrliche Tugend empfehlen, daß es ſehr
ungerecht waͤre, ihnen Humanitaͤt abzu-
ſprechen, weil ſie dies Wort nicht be-
ſaßen.
Die Griechen hatten fuͤr den Menſchen
einen edleren Namen: ανϑϱωπος ein Auf-
waͤrtsblickender, der ſein Antlitz und
Auge aufrecht empor traͤgt, oder wie Plato
es noch kuͤnſtlicher deutet, Einer, der, in-
dem er ſieht, auch uͤberzaͤhlt und rechnet.
Sie konnten indeſſen eben ſo wenig um-
hin, in dieſem aufrechtblickenden, Vernunft-
artigen Geſchlecht alle die Maͤngel zu be-
merken, die zum bedaurenden Mitgefuͤhl,
alſo zur Humanitaͤt und zur Geſellung
fuͤhren. In Homer und allen ihren Dich-
tern kommen die zaͤrtlichſten Klagen uͤber
das Loos der Menſchheit vor. Erinnern
Sie ſich der Worte Apolls, wenn er die
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/22>, abgerufen am 22.07.2024.
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