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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

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mehr von Gemählden der schändlichsten
Wohllust bedeckt seyn; unsre Stimmen wer-
den nicht länger die Verkündigerinnen des
Lasters seyn; und Geschmack und Tugend
werden dabei gewinnen.

"Ich habe manchmal gedacht, daß man
gar wohl die wichtigsten Stücke der Moral
auf dem Theater abhandeln könnte, ohne
dadurch dem feurigen und reissenden Fort-
gange der dramatischen Handlung zu
schaden.

"Nicht Worte, sondern Eindrücke will
ich aus dem Schauplatze mitnehmen. Das
vortreflichste Gedicht ist dasjenige, dessen
Wirkung am längsten in mir dauert.

"O dramatische Dichter! Der wahre
Beifall, nach dem ihr streben müßt, ist
nicht das Klatschen der Hände, das sich
plötzlich nach einer schimmernden Zeile hö-
ren läßt, sondern der tiefe Seufzer, der

mehr von Gemaͤhlden der ſchaͤndlichſten
Wohlluſt bedeckt ſeyn; unſre Stimmen wer-
den nicht laͤnger die Verkuͤndigerinnen des
Laſters ſeyn; und Geſchmack und Tugend
werden dabei gewinnen.

„Ich habe manchmal gedacht, daß man
gar wohl die wichtigſten Stuͤcke der Moral
auf dem Theater abhandeln koͤnnte, ohne
dadurch dem feurigen und reiſſenden Fort-
gange der dramatiſchen Handlung zu
ſchaden.

„Nicht Worte, ſondern Eindruͤcke will
ich aus dem Schauplatze mitnehmen. Das
vortreflichſte Gedicht iſt dasjenige, deſſen
Wirkung am laͤngſten in mir dauert.

„O dramatiſche Dichter! Der wahre
Beifall, nach dem ihr ſtreben muͤßt, iſt
nicht das Klatſchen der Haͤnde, das ſich
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[150/0159] mehr von Gemaͤhlden der ſchaͤndlichſten Wohlluſt bedeckt ſeyn; unſre Stimmen wer- den nicht laͤnger die Verkuͤndigerinnen des Laſters ſeyn; und Geſchmack und Tugend werden dabei gewinnen. „Ich habe manchmal gedacht, daß man gar wohl die wichtigſten Stuͤcke der Moral auf dem Theater abhandeln koͤnnte, ohne dadurch dem feurigen und reiſſenden Fort- gange der dramatiſchen Handlung zu ſchaden. „Nicht Worte, ſondern Eindruͤcke will ich aus dem Schauplatze mitnehmen. Das vortreflichſte Gedicht iſt dasjenige, deſſen Wirkung am laͤngſten in mir dauert. „O dramatiſche Dichter! Der wahre Beifall, nach dem ihr ſtreben muͤßt, iſt nicht das Klatſchen der Haͤnde, das ſich ploͤtzlich nach einer ſchimmernden Zeile hoͤ- ren laͤßt, ſondern der tiefe Seufzer, der

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/159>, abgerufen am 27.11.2024.