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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

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Wie überlegt läßt er den Prinzen sie am
heiligen Ort aufsuchen, sie in der Kapelle
vor aller Welt anreden, und stellt die
schwache Mutter, den strengen, grollhaften
Fürstenfeind, Odoardo neben sie. Ihr Tod
ist lehrreich-schrecklich, ohne aber daß da-
durch die Handlung des Vaters zum ab-
soluten Muster der Besonnenheit werde.
Nichts weniger! Der Alte hat eben so
wohl, als das erschrockene Mädchen in
der betäubenden Hofluft den Kopf verloh-
ren; und eben diese Verwirrung, die Ge-
fahr solcher Charaktere in solcher Nähe
wollte der Dichter schildern.

So erlaube ich auch der Orsina, (die
nothwendig mit Mäßigung gespielt werden
muß) ihre Verhönung des Marinelli, selbst
ihre höllische Phantasie im siebenden Auf-
tritte des vierten Acts. Wenn sie nicht
den Mund öfnet, wer soll ihn öffnen? Und

Dritte Samml. K

Wie uͤberlegt laͤßt er den Prinzen ſie am
heiligen Ort aufſuchen, ſie in der Kapelle
vor aller Welt anreden, und ſtellt die
ſchwache Mutter, den ſtrengen, grollhaften
Fuͤrſtenfeind, Odoardo neben ſie. Ihr Tod
iſt lehrreich-ſchrecklich, ohne aber daß da-
durch die Handlung des Vaters zum ab-
ſoluten Muſter der Beſonnenheit werde.
Nichts weniger! Der Alte hat eben ſo
wohl, als das erſchrockene Maͤdchen in
der betaͤubenden Hofluft den Kopf verloh-
ren; und eben dieſe Verwirrung, die Ge-
fahr ſolcher Charaktere in ſolcher Naͤhe
wollte der Dichter ſchildern.

So erlaube ich auch der Orſina, (die
nothwendig mit Maͤßigung geſpielt werden
muß) ihre Verhoͤnung des Marinelli, ſelbſt
ihre hoͤlliſche Phantaſie im ſiebenden Auf-
tritte des vierten Acts. Wenn ſie nicht
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[145/0154] Wie uͤberlegt laͤßt er den Prinzen ſie am heiligen Ort aufſuchen, ſie in der Kapelle vor aller Welt anreden, und ſtellt die ſchwache Mutter, den ſtrengen, grollhaften Fuͤrſtenfeind, Odoardo neben ſie. Ihr Tod iſt lehrreich-ſchrecklich, ohne aber daß da- durch die Handlung des Vaters zum ab- ſoluten Muſter der Beſonnenheit werde. Nichts weniger! Der Alte hat eben ſo wohl, als das erſchrockene Maͤdchen in der betaͤubenden Hofluft den Kopf verloh- ren; und eben dieſe Verwirrung, die Ge- fahr ſolcher Charaktere in ſolcher Naͤhe wollte der Dichter ſchildern. So erlaube ich auch der Orſina, (die nothwendig mit Maͤßigung geſpielt werden muß) ihre Verhoͤnung des Marinelli, ſelbſt ihre hoͤlliſche Phantaſie im ſiebenden Auf- tritte des vierten Acts. Wenn ſie nicht den Mund oͤfnet, wer ſoll ihn oͤffnen? Und Dritte Samml. K

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/154>, abgerufen am 23.11.2024.