Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Strophen, alle beruhigende, tröstende, auf-
heiternde Sprüche und Empfindungen la-
tein componirt würden. Stellen aus Vir-
gil deßgleichen. Ich erinnere mich aus
Luther, daß ihm einige Worte der sterben-
den Dido in der Musik einen unvergeßba-
ren Eindruck gemacht hatten; wem wür-
den nicht jene ewigen Sprüche der Alten,
mit welchen sie im einfachsten, kräftigsten
Ausdruck das Menschengemüth stärken, ei-
nen nach- und wiedertönenden Eindruck
geben? Durch Musik ist unser Geschlecht
humanisirt worden; durch Musik wird es
noch humanisiret. Was dem Unmuthigen,
dem Lichtlos-Verstockten die Rede nicht
sagen darf: sagen ihm vielleicht Worte auf
Schwingen lieblicher Töne.

Wenn dies von Gesängen der Alten gilt,
sollte es nicht vielmehr von Sprachen gel-
ten, deren Genius uns vertraulicher und

Strophen, alle beruhigende, troͤſtende, auf-
heiternde Spruͤche und Empfindungen la-
tein componirt wuͤrden. Stellen aus Vir-
gil deßgleichen. Ich erinnere mich aus
Luther, daß ihm einige Worte der ſterben-
den Dido in der Muſik einen unvergeßba-
ren Eindruck gemacht hatten; wem wuͤr-
den nicht jene ewigen Spruͤche der Alten,
mit welchen ſie im einfachſten, kraͤftigſten
Ausdruck das Menſchengemuͤth ſtaͤrken, ei-
nen nach- und wiedertoͤnenden Eindruck
geben? Durch Muſik iſt unſer Geſchlecht
humaniſirt worden; durch Muſik wird es
noch humaniſiret. Was dem Unmuthigen,
dem Lichtlos-Verſtockten die Rede nicht
ſagen darf: ſagen ihm vielleicht Worte auf
Schwingen lieblicher Toͤne.

Wenn dies von Geſaͤngen der Alten gilt,
ſollte es nicht vielmehr von Sprachen gel-
ten, deren Genius uns vertraulicher und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0115" n="106"/>
Strophen, alle beruhigende, tro&#x0364;&#x017F;tende, auf-<lb/>
heiternde Spru&#x0364;che und Empfindungen la-<lb/>
tein componirt wu&#x0364;rden. Stellen aus Vir-<lb/>
gil deßgleichen. Ich erinnere mich aus<lb/>
Luther, daß ihm einige Worte der &#x017F;terben-<lb/>
den Dido in der Mu&#x017F;ik einen unvergeßba-<lb/>
ren Eindruck gemacht hatten; wem wu&#x0364;r-<lb/>
den nicht jene ewigen Spru&#x0364;che der Alten,<lb/>
mit welchen &#x017F;ie im einfach&#x017F;ten, kra&#x0364;ftig&#x017F;ten<lb/>
Ausdruck das Men&#x017F;chengemu&#x0364;th &#x017F;ta&#x0364;rken, ei-<lb/>
nen nach- und wiederto&#x0364;nenden Eindruck<lb/>
geben? Durch Mu&#x017F;ik i&#x017F;t un&#x017F;er Ge&#x017F;chlecht<lb/>
humani&#x017F;irt worden; durch Mu&#x017F;ik wird es<lb/>
noch humani&#x017F;iret. Was dem Unmuthigen,<lb/>
dem Lichtlos-Ver&#x017F;tockten die Rede nicht<lb/>
&#x017F;agen darf: &#x017F;agen ihm vielleicht Worte auf<lb/>
Schwingen lieblicher To&#x0364;ne.</p><lb/>
        <p>Wenn dies von Ge&#x017F;a&#x0364;ngen der Alten gilt,<lb/>
&#x017F;ollte es nicht vielmehr von Sprachen gel-<lb/>
ten, deren Genius uns vertraulicher und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0115] Strophen, alle beruhigende, troͤſtende, auf- heiternde Spruͤche und Empfindungen la- tein componirt wuͤrden. Stellen aus Vir- gil deßgleichen. Ich erinnere mich aus Luther, daß ihm einige Worte der ſterben- den Dido in der Muſik einen unvergeßba- ren Eindruck gemacht hatten; wem wuͤr- den nicht jene ewigen Spruͤche der Alten, mit welchen ſie im einfachſten, kraͤftigſten Ausdruck das Menſchengemuͤth ſtaͤrken, ei- nen nach- und wiedertoͤnenden Eindruck geben? Durch Muſik iſt unſer Geſchlecht humaniſirt worden; durch Muſik wird es noch humaniſiret. Was dem Unmuthigen, dem Lichtlos-Verſtockten die Rede nicht ſagen darf: ſagen ihm vielleicht Worte auf Schwingen lieblicher Toͤne. Wenn dies von Geſaͤngen der Alten gilt, ſollte es nicht vielmehr von Sprachen gel- ten, deren Genius uns vertraulicher und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/115
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/115>, abgerufen am 23.11.2024.