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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793.

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Ans Volk, wollen wir eher mit Be-
dauren und Großmuth, als mit Stolz und
Zuversicht denken. Jahrhunderte lang ists
unerzogen geblieben; daß es erzogen werde,
kann unser einziger Wunsch seyn, nicht daß
es herrsche, nicht daß es gebiete und lehre.
Die Beßerung muß vom Haupt kommen,
nicht von Füßen und Händen; ich kenne
nichts abscheulicheres, als eines wahnsinni-
gen Volks Herrschaft.

Laßen Sie sich auch die Stimmen unsrer
Philosophen nicht bis zur Täuschung be-
zaubern; die wärmsten sind nicht immer die
hellesten Köpfe. Von ihren Wünschen,
vom Anschein der guten Sache eingenom-
men, vom thätigen Leben und von der
wahren Gestalt der Dinge entfernt, ge-
fallen sie sich in Spekulationen; oder als
der zarteste empfindlichste Theil des Publi-
kums trösten sie sich über das, was nicht

D 5

Ans Volk, wollen wir eher mit Be-
dauren und Großmuth, als mit Stolz und
Zuverſicht denken. Jahrhunderte lang iſts
unerzogen geblieben; daß es erzogen werde,
kann unſer einziger Wunſch ſeyn, nicht daß
es herrſche, nicht daß es gebiete und lehre.
Die Beßerung muß vom Haupt kommen,
nicht von Fuͤßen und Haͤnden; ich kenne
nichts abſcheulicheres, als eines wahnſinni-
gen Volks Herrſchaft.

Laßen Sie ſich auch die Stimmen unſrer
Philoſophen nicht bis zur Taͤuſchung be-
zaubern; die waͤrmſten ſind nicht immer die
helleſten Koͤpfe. Von ihren Wuͤnſchen,
vom Anſchein der guten Sache eingenom-
men, vom thaͤtigen Leben und von der
wahren Geſtalt der Dinge entfernt, ge-
fallen ſie ſich in Spekulationen; oder als
der zarteſte empfindlichſte Theil des Publi-
kums troͤſten ſie ſich uͤber das, was nicht

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[57/0062] Ans Volk, wollen wir eher mit Be- dauren und Großmuth, als mit Stolz und Zuverſicht denken. Jahrhunderte lang iſts unerzogen geblieben; daß es erzogen werde, kann unſer einziger Wunſch ſeyn, nicht daß es herrſche, nicht daß es gebiete und lehre. Die Beßerung muß vom Haupt kommen, nicht von Fuͤßen und Haͤnden; ich kenne nichts abſcheulicheres, als eines wahnſinni- gen Volks Herrſchaft. Laßen Sie ſich auch die Stimmen unſrer Philoſophen nicht bis zur Taͤuſchung be- zaubern; die waͤrmſten ſind nicht immer die helleſten Koͤpfe. Von ihren Wuͤnſchen, vom Anſchein der guten Sache eingenom- men, vom thaͤtigen Leben und von der wahren Geſtalt der Dinge entfernt, ge- fallen ſie ſich in Spekulationen; oder als der zarteſte empfindlichſte Theil des Publi- kums troͤſten ſie ſich uͤber das, was nicht D 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793/62>, abgerufen am 27.11.2024.