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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793.

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handelnder Mann, wenn er sich auch mit
aller ersinnlichen Grazie ausdrückte, darf
nie schwach handeln; wie man z. B. dem
Könige von England Jacob I. vorwarf, daß
er nie etwas Schlechtes gesagt, nie etwas
Lobwürdiges gethan habe. Es füget sich
oft, daß die, die gegen Handlungen andrer
am meisten declamiren, es schlechter als sie
machen, wenn sie sich in den nämlichen
Umständen befinden. Daß es ja mir nicht
also gehe! Denn leichter ists freilich zu
tadeln, als zu thun; leichter Lehren zu
geben, als sie auszuüben. Und dann lassen
Menschen sich ja so leicht verführen, bald
durch Anmaßung, bald durch den Glanz
ihres Standes, oder durch Hinterlist der
Bösen, daß ihr Gewissen bestrickt wird,
auch wenn sie die reinsten und besten Ab-
sichten von der Welt hätten.

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handelnder Mann, wenn er ſich auch mit
aller erſinnlichen Grazie ausdruͤckte, darf
nie ſchwach handeln; wie man z. B. dem
Koͤnige von England Jacob I. vorwarf, daß
er nie etwas Schlechtes geſagt, nie etwas
Lobwuͤrdiges gethan habe. Es fuͤget ſich
oft, daß die, die gegen Handlungen andrer
am meiſten declamiren, es ſchlechter als ſie
machen, wenn ſie ſich in den naͤmlichen
Umſtaͤnden befinden. Daß es ja mir nicht
alſo gehe! Denn leichter iſts freilich zu
tadeln, als zu thun; leichter Lehren zu
geben, als ſie auszuuͤben. Und dann laſſen
Menſchen ſich ja ſo leicht verfuͤhren, bald
durch Anmaßung, bald durch den Glanz
ihres Standes, oder durch Hinterliſt der
Boͤſen, daß ihr Gewiſſen beſtrickt wird,
auch wenn ſie die reinſten und beſten Ab-
ſichten von der Welt haͤtten.

F 3
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[85/0092] handelnder Mann, wenn er ſich auch mit aller erſinnlichen Grazie ausdruͤckte, darf nie ſchwach handeln; wie man z. B. dem Koͤnige von England Jacob I. vorwarf, daß er nie etwas Schlechtes geſagt, nie etwas Lobwuͤrdiges gethan habe. Es fuͤget ſich oft, daß die, die gegen Handlungen andrer am meiſten declamiren, es ſchlechter als ſie machen, wenn ſie ſich in den naͤmlichen Umſtaͤnden befinden. Daß es ja mir nicht alſo gehe! Denn leichter iſts freilich zu tadeln, als zu thun; leichter Lehren zu geben, als ſie auszuuͤben. Und dann laſſen Menſchen ſich ja ſo leicht verfuͤhren, bald durch Anmaßung, bald durch den Glanz ihres Standes, oder durch Hinterliſt der Boͤſen, daß ihr Gewiſſen beſtrickt wird, auch wenn ſie die reinſten und beſten Ab- ſichten von der Welt haͤtten. F 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/92>, abgerufen am 24.11.2024.