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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793.

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gewißen Jahren wollte ihm das Neue nicht
mehr gnug thun; er fand eine Spitzfindig-
keit oder einen mathematischen Calcul in
Schriften, wohin dieser nicht gehörte. Die
alten großen Formen weniger Hauptgedan-
ken lagen in ihm, von denen er sich ungern
trennen mochte. In Sachen des Vortrags
sah er Voltäre als die letzte Stütze des Ge-
schmacks an, der unter Ludwig XIV. ge-
wesen war, und unter Ludwig XV. und XVI.
freilich nicht mehr seyn konnte. Dagegen
sieht er seine eignen Aufsätze in Versen blos
als Reimereien zum Vergnügen, in Prose
als Uebungen zu Entwicklung seiner Ge-
danken an, und spricht von ihnen ohn' alle
Anmaßung. Diese Bescheidenheit ist, wie
man offenbar sieht, kalte Ueberzeugung;
er fühlt, was ihm fehle, und warum er
nicht seyn könne, was z. B. Voltäre war.
Er wills auch nicht seyn: denn er fühlt

E 5

gewißen Jahren wollte ihm das Neue nicht
mehr gnug thun; er fand eine Spitzfindig-
keit oder einen mathematiſchen Calcul in
Schriften, wohin dieſer nicht gehoͤrte. Die
alten großen Formen weniger Hauptgedan-
ken lagen in ihm, von denen er ſich ungern
trennen mochte. In Sachen des Vortrags
ſah er Voltaͤre als die letzte Stuͤtze des Ge-
ſchmacks an, der unter Ludwig XIV. ge-
weſen war, und unter Ludwig XV. und XVI.
freilich nicht mehr ſeyn konnte. Dagegen
ſieht er ſeine eignen Aufſaͤtze in Verſen blos
als Reimereien zum Vergnuͤgen, in Proſe
als Uebungen zu Entwicklung ſeiner Ge-
danken an, und ſpricht von ihnen ohn' alle
Anmaßung. Dieſe Beſcheidenheit iſt, wie
man offenbar ſieht, kalte Ueberzeugung;
er fuͤhlt, was ihm fehle, und warum er
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Er wills auch nicht ſeyn: denn er fuͤhlt

E 5
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[73/0080] gewißen Jahren wollte ihm das Neue nicht mehr gnug thun; er fand eine Spitzfindig- keit oder einen mathematiſchen Calcul in Schriften, wohin dieſer nicht gehoͤrte. Die alten großen Formen weniger Hauptgedan- ken lagen in ihm, von denen er ſich ungern trennen mochte. In Sachen des Vortrags ſah er Voltaͤre als die letzte Stuͤtze des Ge- ſchmacks an, der unter Ludwig XIV. ge- weſen war, und unter Ludwig XV. und XVI. freilich nicht mehr ſeyn konnte. Dagegen ſieht er ſeine eignen Aufſaͤtze in Verſen blos als Reimereien zum Vergnuͤgen, in Proſe als Uebungen zu Entwicklung ſeiner Ge- danken an, und ſpricht von ihnen ohn' alle Anmaßung. Dieſe Beſcheidenheit iſt, wie man offenbar ſieht, kalte Ueberzeugung; er fuͤhlt, was ihm fehle, und warum er nicht ſeyn koͤnne, was z. B. Voltaͤre war. Er wills auch nicht ſeyn: denn er fuͤhlt E 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/80>, abgerufen am 25.11.2024.