Hören Sie nun den guten Alten, und Sie finden in seiner Lebensbeschreibung durchaus ein Gegenbild zu Rousseau's Con- feßionen. Wie diesen die Phantasie fast immer irre führte; so verläßt jenen nie sein guter Verstand, sein unermüdlicher Fleiß, seine Gefälligkeit, seine erfindende Thätig- keit, ich möchte sagen, seine Vielverschlagen- heit und ruhige Beherztheit. Begleiten Sie ihn in diesem Betracht aus der Bude des Lichtziehers in die Werkstäte des Messer- schmiedes, in die Buchdruckerei, von Bo- ston nach Neu-York, nach Philadelphia, London u. f. und bemerken, wie er allent- halben zu Hause ist, sich zu finden weiß, Freunde gewinnt, überall ins größere All- gemeine blickt und in jedem Verhältniß einen fortstrebenden Geist zeiget. Die Ga- lerie seiner Bekannten und Mitgenossen, die er dabei aufstellt, wie dieser hier ver-
Hoͤren Sie nun den guten Alten, und Sie finden in ſeiner Lebensbeſchreibung durchaus ein Gegenbild zu Rouſſeau's Con- feßionen. Wie dieſen die Phantaſie faſt immer irre fuͤhrte; ſo verlaͤßt jenen nie ſein guter Verſtand, ſein unermuͤdlicher Fleiß, ſeine Gefaͤlligkeit, ſeine erfindende Thaͤtig- keit, ich moͤchte ſagen, ſeine Vielverſchlagen- heit und ruhige Beherztheit. Begleiten Sie ihn in dieſem Betracht aus der Bude des Lichtziehers in die Werkſtaͤte des Meſſer- ſchmiedes, in die Buchdruckerei, von Bo- ſton nach Neu-York, nach Philadelphia, London u. f. und bemerken, wie er allent- halben zu Hauſe iſt, ſich zu finden weiß, Freunde gewinnt, uͤberall ins groͤßere All- gemeine blickt und in jedem Verhaͤltniß einen fortſtrebenden Geiſt zeiget. Die Ga- lerie ſeiner Bekannten und Mitgenoſſen, die er dabei aufſtellt, wie dieſer hier ver-
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Hoͤren Sie nun den guten Alten, und
Sie finden in ſeiner Lebensbeſchreibung
durchaus ein Gegenbild zu Rouſſeau's Con-
feßionen. Wie dieſen die Phantaſie faſt
immer irre fuͤhrte; ſo verlaͤßt jenen nie ſein
guter Verſtand, ſein unermuͤdlicher Fleiß,
ſeine Gefaͤlligkeit, ſeine erfindende Thaͤtig-
keit, ich moͤchte ſagen, ſeine Vielverſchlagen-
heit und ruhige Beherztheit. Begleiten Sie
ihn in dieſem Betracht aus der Bude des
Lichtziehers in die Werkſtaͤte des Meſſer-
ſchmiedes, in die Buchdruckerei, von Bo-
ſton nach Neu-York, nach Philadelphia,
London u. f. und bemerken, wie er allent-
halben zu Hauſe iſt, ſich zu finden weiß,
Freunde gewinnt, uͤberall ins groͤßere All-
gemeine blickt und in jedem Verhaͤltniß
einen fortſtrebenden Geiſt zeiget. Die Ga-
lerie ſeiner Bekannten und Mitgenoſſen,
die er dabei aufſtellt, wie dieſer hier ver-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/21>, abgerufen am 23.07.2024.
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