Doch sofern beantworte ich mir die Frage selbst, auf die ohnedem andre bereits ge- antwortet haben. Wie kommts aber, daß auch seitdem die Dichterei gedruckte Kunst ist, ihr Antheil an der gemeinen Sache zu verschiedenen Zeiten so ungleich gewesen, und jetzt sogar gering zu seyn scheinet? Mehrere tapfere Gedichte auch aus unserm Vaterlande von Luther, Opitz, Logau, und nach einem großen Sprunge der Zeiten von Kleist, Gleim, Uz, Klopstock, Stolberg, Bürger u. a. sind uns in Herz und Seele geschrieben; ist diese Muse anjetzt entschlafen? Oder hat sie, wie Baal, etwas Anderes zu schaffen, daß sie vom Geiste der Zeit nicht erweckt, das Geräusch um sich her nicht höret?
Mich dünkt, so ist es; sie hat etwas Anderes zu schaffen: schlagen Sie darüber die neueren Dichter nach. Und doch er-
L
Doch ſofern beantworte ich mir die Frage ſelbſt, auf die ohnedem andre bereits ge- antwortet haben. Wie kommts aber, daß auch ſeitdem die Dichterei gedruckte Kunſt iſt, ihr Antheil an der gemeinen Sache zu verſchiedenen Zeiten ſo ungleich geweſen, und jetzt ſogar gering zu ſeyn ſcheinet? Mehrere tapfere Gedichte auch aus unſerm Vaterlande von Luther, Opitz, Logau, und nach einem großen Sprunge der Zeiten von Kleiſt, Gleim, Uz, Klopſtock, Stolberg, Buͤrger u. a. ſind uns in Herz und Seele geſchrieben; iſt dieſe Muſe anjetzt entſchlafen? Oder hat ſie, wie Baal, etwas Anderes zu ſchaffen, daß ſie vom Geiſte der Zeit nicht erweckt, das Geraͤuſch um ſich her nicht hoͤret?
Mich duͤnkt, ſo iſt es; ſie hat etwas Anderes zu ſchaffen: ſchlagen Sie daruͤber die neueren Dichter nach. Und doch er-
L
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0168"n="161"/><p>Doch ſofern beantworte ich mir die Frage<lb/>ſelbſt, auf die ohnedem andre bereits ge-<lb/>
antwortet haben. Wie kommts aber, daß<lb/>
auch ſeitdem die Dichterei gedruckte Kunſt<lb/>
iſt, ihr Antheil an der gemeinen Sache zu<lb/>
verſchiedenen Zeiten ſo ungleich geweſen,<lb/>
und jetzt ſogar gering zu ſeyn ſcheinet?<lb/>
Mehrere tapfere Gedichte auch aus unſerm<lb/>
Vaterlande von <hirendition="#g">Luther</hi>, <hirendition="#g">Opitz</hi>, <hirendition="#g">Logau</hi>,<lb/>
und nach einem großen Sprunge der Zeiten<lb/>
von <hirendition="#g">Kleiſt</hi>, <hirendition="#g">Gleim</hi>, <hirendition="#g">Uz</hi>, <hirendition="#g">Klopſtock</hi>,<lb/><hirendition="#g">Stolberg</hi>, <hirendition="#g">Buͤrger</hi> u. a. ſind uns in<lb/>
Herz und Seele geſchrieben; iſt dieſe Muſe<lb/>
anjetzt entſchlafen? Oder hat ſie, wie Baal,<lb/>
etwas Anderes zu ſchaffen, daß ſie vom<lb/>
Geiſte der Zeit nicht erweckt, das Geraͤuſch<lb/>
um ſich her nicht hoͤret?</p><lb/><p>Mich duͤnkt, ſo iſt es; ſie hat etwas<lb/>
Anderes zu ſchaffen: ſchlagen Sie daruͤber<lb/>
die neueren Dichter nach. Und doch er-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">L</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[161/0168]
Doch ſofern beantworte ich mir die Frage
ſelbſt, auf die ohnedem andre bereits ge-
antwortet haben. Wie kommts aber, daß
auch ſeitdem die Dichterei gedruckte Kunſt
iſt, ihr Antheil an der gemeinen Sache zu
verſchiedenen Zeiten ſo ungleich geweſen,
und jetzt ſogar gering zu ſeyn ſcheinet?
Mehrere tapfere Gedichte auch aus unſerm
Vaterlande von Luther, Opitz, Logau,
und nach einem großen Sprunge der Zeiten
von Kleiſt, Gleim, Uz, Klopſtock,
Stolberg, Buͤrger u. a. ſind uns in
Herz und Seele geſchrieben; iſt dieſe Muſe
anjetzt entſchlafen? Oder hat ſie, wie Baal,
etwas Anderes zu ſchaffen, daß ſie vom
Geiſte der Zeit nicht erweckt, das Geraͤuſch
um ſich her nicht hoͤret?
Mich duͤnkt, ſo iſt es; ſie hat etwas
Anderes zu ſchaffen: ſchlagen Sie daruͤber
die neueren Dichter nach. Und doch er-
L
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/168>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.