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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793.

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Schmeichelei unser Angesicht schänden. Un-
ter uns ist, wie jener Apostel sagte, kein
Jude noch Grieche
, kein Knecht
noch Freier
, kein Mann noch Weib;
wir sind Eins und Einer. Indem
wir an uns und nicht an die Welt schreiben,
gehen wir aller eitlen Rücksichten müßig;
warum sollten wir heucheln? Das lohnte
der Mühe nicht, die Feder einzutunken;
wir dürften sodann nur lesen. --

Lesen! sagte das ganze Chor, und ging
in ein Detail über das, was jener hier,
dieser dort gelesen hatte; alle waren dar-
über einig, daß es der Seele eine Arznei
sey, wenn sie vom zertheilten, vielfachen
Lesen in sich zurückgezogen werde, und wie
durch ein Gelübde, oder vor einem heiligen
Gericht, über das was sie gehört, gelesen,
gesehen hat, sich selbst redliche Rechenschaft
gebe.

Schmeichelei unſer Angeſicht ſchaͤnden. Un-
ter uns iſt, wie jener Apoſtel ſagte, kein
Jude noch Grieche
, kein Knecht
noch Freier
, kein Mann noch Weib;
wir ſind Eins und Einer. Indem
wir an uns und nicht an die Welt ſchreiben,
gehen wir aller eitlen Ruͤckſichten muͤßig;
warum ſollten wir heucheln? Das lohnte
der Muͤhe nicht, die Feder einzutunken;
wir duͤrften ſodann nur leſen. —

Leſen! ſagte das ganze Chor, und ging
in ein Detail uͤber das, was jener hier,
dieſer dort geleſen hatte; alle waren dar-
uͤber einig, daß es der Seele eine Arznei
ſey, wenn ſie vom zertheilten, vielfachen
Leſen in ſich zuruͤckgezogen werde, und wie
durch ein Geluͤbde, oder vor einem heiligen
Gericht, uͤber das was ſie gehoͤrt, geleſen,
geſehen hat, ſich ſelbſt redliche Rechenſchaft
gebe.

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[8/0015] Schmeichelei unſer Angeſicht ſchaͤnden. Un- ter uns iſt, wie jener Apoſtel ſagte, kein Jude noch Grieche, kein Knecht noch Freier, kein Mann noch Weib; wir ſind Eins und Einer. Indem wir an uns und nicht an die Welt ſchreiben, gehen wir aller eitlen Ruͤckſichten muͤßig; warum ſollten wir heucheln? Das lohnte der Muͤhe nicht, die Feder einzutunken; wir duͤrften ſodann nur leſen. — Leſen! ſagte das ganze Chor, und ging in ein Detail uͤber das, was jener hier, dieſer dort geleſen hatte; alle waren dar- uͤber einig, daß es der Seele eine Arznei ſey, wenn ſie vom zertheilten, vielfachen Leſen in ſich zuruͤckgezogen werde, und wie durch ein Geluͤbde, oder vor einem heiligen Gericht, uͤber das was ſie gehoͤrt, geleſen, geſehen hat, ſich ſelbſt redliche Rechenſchaft gebe.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/15>, abgerufen am 25.11.2024.