Strom der Zeit stockend, und sich in einem stehenden Sumpf gesenkt glaubte. Der Strom der Zeit steht nie still; jetzt rieselt er sanft, jetzt rauscht er gewaltig; allenthal- ben aber wehet auf ihm Othem des Le- bens. --
In die Gedanken- oder Handlungs- sphäre andrer größerer Menschen versetzt, sagte B., nehmen wir Theil an ihrem Geist: wir denken mit ihnen, auch wenn wir mit ihnen nicht wirken konnten, und freuen uns ihres Daseyns. Je reiner die Gedanken der Menschen sind, desto mehr stimmen sie zusammen; die wahre unsichtbare Kirche durch alle Zeiten, durch alle Länder ist nur Eine. --
Und in diese wollen wir rein eintreten, meine Freunde, fügte A. hinzu, mit unge- theiltem Herzen, mit reinen Händen. Kein Partheigeist soll unser Auge benebeln; keine
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Strom der Zeit ſtockend, und ſich in einem ſtehenden Sumpf geſenkt glaubte. Der Strom der Zeit ſteht nie ſtill; jetzt rieſelt er ſanft, jetzt rauſcht er gewaltig; allenthal- ben aber wehet auf ihm Othem des Le- bens. —
In die Gedanken- oder Handlungs- ſphaͤre andrer groͤßerer Menſchen verſetzt, ſagte B., nehmen wir Theil an ihrem Geiſt: wir denken mit ihnen, auch wenn wir mit ihnen nicht wirken konnten, und freuen uns ihres Daſeyns. Je reiner die Gedanken der Menſchen ſind, deſto mehr ſtimmen ſie zuſammen; die wahre unſichtbare Kirche durch alle Zeiten, durch alle Laͤnder iſt nur Eine. —
Und in dieſe wollen wir rein eintreten, meine Freunde, fuͤgte A. hinzu, mit unge- theiltem Herzen, mit reinen Haͤnden. Kein Partheigeiſt ſoll unſer Auge benebeln; keine
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Strom der Zeit ſtockend, und ſich in einem
ſtehenden Sumpf geſenkt glaubte. Der
Strom der Zeit ſteht nie ſtill; jetzt rieſelt er
ſanft, jetzt rauſcht er gewaltig; allenthal-
ben aber wehet auf ihm Othem des Le-
bens. —
In die Gedanken- oder Handlungs-
ſphaͤre andrer groͤßerer Menſchen verſetzt,
ſagte B., nehmen wir Theil an ihrem Geiſt:
wir denken mit ihnen, auch wenn wir mit
ihnen nicht wirken konnten, und freuen uns
ihres Daſeyns. Je reiner die Gedanken
der Menſchen ſind, deſto mehr ſtimmen ſie
zuſammen; die wahre unſichtbare Kirche
durch alle Zeiten, durch alle Laͤnder iſt nur
Eine. —
Und in dieſe wollen wir rein eintreten,
meine Freunde, fuͤgte A. hinzu, mit unge-
theiltem Herzen, mit reinen Haͤnden. Kein
Partheigeiſt ſoll unſer Auge benebeln; keine
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/14>, abgerufen am 22.07.2024.
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