bißener, hinkender, geknickter Löwe Euch sagen kann. (1759.)
"Schwert und Tod haben unter uns abscheulich gewütet, und was das traurig- ste ist, wir sind noch nicht am Ende der Tragödie. Ihr könnt leicht denken, was so grausame Stöße auf mich für Wirkung gehabt haben; ich hülle mich in meinen Stoicismus, so gut ich es kann. Fleisch und Blut empören sich oft gegen die tyran- nische Herrschaft der Vernunft; sie müßen aber nachgeben. Wenn ihr mich sehen soll- tet, würdet Ihr mich kaum wiedererkennen: ich bin alt, verfallen, greis, voll Runzeln; ich verliere Zähne und Lustigkeit. Wenn das fortwährt, wird an mir nichts über- bleiben, als die Tollheit, Verse zu machen, und eine unverletzbare Anhänglichkeit an
bißener, hinkender, geknickter Loͤwe Euch ſagen kann. (1759.)
„Schwert und Tod haben unter uns abſcheulich gewuͤtet, und was das traurig- ſte iſt, wir ſind noch nicht am Ende der Tragoͤdie. Ihr koͤnnt leicht denken, was ſo grauſame Stoͤße auf mich fuͤr Wirkung gehabt haben; ich huͤlle mich in meinen Stoicismus, ſo gut ich es kann. Fleiſch und Blut empoͤren ſich oft gegen die tyran- niſche Herrſchaft der Vernunft; ſie muͤßen aber nachgeben. Wenn ihr mich ſehen ſoll- tet, wuͤrdet Ihr mich kaum wiedererkennen: ich bin alt, verfallen, greis, voll Runzeln; ich verliere Zaͤhne und Luſtigkeit. Wenn das fortwaͤhrt, wird an mir nichts uͤber- bleiben, als die Tollheit, Verſe zu machen, und eine unverletzbare Anhaͤnglichkeit an
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bißener, hinkender, geknickter Loͤwe Euch
ſagen kann. (1759.)
„Schwert und Tod haben unter uns
abſcheulich gewuͤtet, und was das traurig-
ſte iſt, wir ſind noch nicht am Ende der
Tragoͤdie. Ihr koͤnnt leicht denken, was
ſo grauſame Stoͤße auf mich fuͤr Wirkung
gehabt haben; ich huͤlle mich in meinen
Stoicismus, ſo gut ich es kann. Fleiſch
und Blut empoͤren ſich oft gegen die tyran-
niſche Herrſchaft der Vernunft; ſie muͤßen
aber nachgeben. Wenn ihr mich ſehen ſoll-
tet, wuͤrdet Ihr mich kaum wiedererkennen:
ich bin alt, verfallen, greis, voll Runzeln;
ich verliere Zaͤhne und Luſtigkeit. Wenn
das fortwaͤhrt, wird an mir nichts uͤber-
bleiben, als die Tollheit, Verſe zu machen,
und eine unverletzbare Anhaͤnglichkeit an
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 1. Riga, 1793, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet01_1793/116>, abgerufen am 16.02.2025.
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