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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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de durchfliegt der leichte Mann ungeheure Strecken und Wü-
sten: er weiß dem Roß Kräfte zu geben, wenn es erliegt und
wenn Er verschmachtet, muß eine geöfnete Ader am Halse
des Pferdes ihm Kräfte geben. Kein Regen fällt auf man-
che dieser Gegenden, die nur der Thau erquickt und eine noch
unerschöpfte Fruchtbarkeit der Erde mit neuem Grün beklei-
det: manche weite Strecke kennt keinen Baum, keine süße
Quelle. Da ziehn nun diese wilden und unter sich selbst die
geordnetsten Stämme im hohen Grase umher und weiden
ihre Heerden: die Mitgenossen ihrer Lebensart, die Pferde,
kennen ihre Stimme und leben wie sie in Friede. Mit Ge-
dankenloser Gleichgültigkeit sitzt der müßige Kalmucke da und
überblickt seinen ewigheitern Himmel und durchhorcht seine
unabsehbare Einöde. Jn jedem andern Strich der Erde sind
die Mogolen verartet oder veredelt; in ihrem Lande sind sie,
was sie seit Jahrtausenden waren und werden es bleiben, so-
lange sich ihr Erdstrich nicht durch Natur oder durch Kunst
ändert.

Der Araber in der Wüstea); er gehört in dieselbe mit
seinem edlen Roß, mit seinem geduldigen aushaltenden Ka-

meel
a) Ausser den ältern zahlreichen Reisen nach Arabien s. Voyages de
Pages T. II. p. 62-87.

de durchfliegt der leichte Mann ungeheure Strecken und Wuͤ-
ſten: er weiß dem Roß Kraͤfte zu geben, wenn es erliegt und
wenn Er verſchmachtet, muß eine geoͤfnete Ader am Halſe
des Pferdes ihm Kraͤfte geben. Kein Regen faͤllt auf man-
che dieſer Gegenden, die nur der Thau erquickt und eine noch
unerſchoͤpfte Fruchtbarkeit der Erde mit neuem Gruͤn beklei-
det: manche weite Strecke kennt keinen Baum, keine ſuͤße
Quelle. Da ziehn nun dieſe wilden und unter ſich ſelbſt die
geordnetſten Staͤmme im hohen Graſe umher und weiden
ihre Heerden: die Mitgenoſſen ihrer Lebensart, die Pferde,
kennen ihre Stimme und leben wie ſie in Friede. Mit Ge-
dankenloſer Gleichguͤltigkeit ſitzt der muͤßige Kalmucke da und
uͤberblickt ſeinen ewigheitern Himmel und durchhorcht ſeine
unabſehbare Einoͤde. Jn jedem andern Strich der Erde ſind
die Mogolen verartet oder veredelt; in ihrem Lande ſind ſie,
was ſie ſeit Jahrtauſenden waren und werden es bleiben, ſo-
lange ſich ihr Erdſtrich nicht durch Natur oder durch Kunſt
aͤndert.

Der Araber in der Wuͤſtea); er gehoͤrt in dieſelbe mit
ſeinem edlen Roß, mit ſeinem geduldigen aushaltenden Ka-

meel
a) Auſſer den aͤltern zahlreichen Reiſen nach Arabien ſ. Voyages de
Pages T. II. p. 62‒87.
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[82/0094] de durchfliegt der leichte Mann ungeheure Strecken und Wuͤ- ſten: er weiß dem Roß Kraͤfte zu geben, wenn es erliegt und wenn Er verſchmachtet, muß eine geoͤfnete Ader am Halſe des Pferdes ihm Kraͤfte geben. Kein Regen faͤllt auf man- che dieſer Gegenden, die nur der Thau erquickt und eine noch unerſchoͤpfte Fruchtbarkeit der Erde mit neuem Gruͤn beklei- det: manche weite Strecke kennt keinen Baum, keine ſuͤße Quelle. Da ziehn nun dieſe wilden und unter ſich ſelbſt die geordnetſten Staͤmme im hohen Graſe umher und weiden ihre Heerden: die Mitgenoſſen ihrer Lebensart, die Pferde, kennen ihre Stimme und leben wie ſie in Friede. Mit Ge- dankenloſer Gleichguͤltigkeit ſitzt der muͤßige Kalmucke da und uͤberblickt ſeinen ewigheitern Himmel und durchhorcht ſeine unabſehbare Einoͤde. Jn jedem andern Strich der Erde ſind die Mogolen verartet oder veredelt; in ihrem Lande ſind ſie, was ſie ſeit Jahrtauſenden waren und werden es bleiben, ſo- lange ſich ihr Erdſtrich nicht durch Natur oder durch Kunſt aͤndert. Der Araber in der Wuͤſte a); er gehoͤrt in dieſelbe mit ſeinem edlen Roß, mit ſeinem geduldigen aushaltenden Ka- meel a) Auſſer den aͤltern zahlreichen Reiſen nach Arabien ſ. Voyages de Pages T. II. p. 62‒87.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/94>, abgerufen am 28.11.2024.