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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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weder Kräuter noch Bäume waren, konnte der Mensch, den
die Natur zum Bau derselben bestimmt hatte, noch nicht le-
ben: noch stieg kein Regen nieder, aber Nebel stiegen auf und
aus einer solchen mit Thau befeuchteten Erde ward er gebildet,
und mit dem Athem der Lebenskraft zum lebendigen Wesen
belebet." Mich dünkt, die einfache Erzählung sagt alles,
was auch nach allen Erforschungen der Physiologie Menschen
von ihrer Organisation zu wissen vermögen. Jm Tode wird
unser künstliches Gebäu in Erde, Wasser und Luft aufgelöset,
die in ihm jetzt organisch gebunden sind; die innere Oekono-
mie des animalischen Lebens aber hangt von dem verborgnen
Reiz oder Balsam im Element der Luft ab, der den vollkom-
menern Lauf des Bluts, ja den ganzen innern Zwist der Le-
benskräfte unsrer Maschine in Bewegung setzt; und so wird
wirklich der Mensch durch den lebendigen Othem zur regsamen
Seele. Durch ihn erhält und äußert er die Kraft, Lebenswär-
me zu verarbeiten und als ein sich bewegendes, empfindendes,
denkendes Geschöpf zu handeln. Die älteste Philosophie ist
mit den neuesten Erfahrungen hierüber einig.

Ein Garten war der erste Wohnsitz des Men-
schen
und auch dieser Zug der Tradition ist, wie ihn immer
nur die Philosophie ersinnen könnte. Das Gartenleben ist
das leichteste für die neugebohrne Menschheit: denn jedes an-

dre,
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weder Kraͤuter noch Baͤume waren, konnte der Menſch, den
die Natur zum Bau derſelben beſtimmt hatte, noch nicht le-
ben: noch ſtieg kein Regen nieder, aber Nebel ſtiegen auf und
aus einer ſolchen mit Thau befeuchteten Erde ward er gebildet,
und mit dem Athem der Lebenskraft zum lebendigen Weſen
belebet.“ Mich duͤnkt, die einfache Erzaͤhlung ſagt alles,
was auch nach allen Erforſchungen der Phyſiologie Menſchen
von ihrer Organiſation zu wiſſen vermoͤgen. Jm Tode wird
unſer kuͤnſtliches Gebaͤu in Erde, Waſſer und Luft aufgeloͤſet,
die in ihm jetzt organiſch gebunden ſind; die innere Oekono-
mie des animaliſchen Lebens aber hangt von dem verborgnen
Reiz oder Balſam im Element der Luft ab, der den vollkom-
menern Lauf des Bluts, ja den ganzen innern Zwiſt der Le-
benskraͤfte unſrer Maſchine in Bewegung ſetzt; und ſo wird
wirklich der Menſch durch den lebendigen Othem zur regſamen
Seele. Durch ihn erhaͤlt und aͤußert er die Kraft, Lebenswaͤr-
me zu verarbeiten und als ein ſich bewegendes, empfindendes,
denkendes Geſchoͤpf zu handeln. Die aͤlteſte Philoſophie iſt
mit den neueſten Erfahrungen hieruͤber einig.

Ein Garten war der erſte Wohnſitz des Men-
ſchen
und auch dieſer Zug der Tradition iſt, wie ihn immer
nur die Philoſophie erſinnen koͤnnte. Das Gartenleben iſt
das leichteſte fuͤr die neugebohrne Menſchheit: denn jedes an-

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[331/0343] weder Kraͤuter noch Baͤume waren, konnte der Menſch, den die Natur zum Bau derſelben beſtimmt hatte, noch nicht le- ben: noch ſtieg kein Regen nieder, aber Nebel ſtiegen auf und aus einer ſolchen mit Thau befeuchteten Erde ward er gebildet, und mit dem Athem der Lebenskraft zum lebendigen Weſen belebet.“ Mich duͤnkt, die einfache Erzaͤhlung ſagt alles, was auch nach allen Erforſchungen der Phyſiologie Menſchen von ihrer Organiſation zu wiſſen vermoͤgen. Jm Tode wird unſer kuͤnſtliches Gebaͤu in Erde, Waſſer und Luft aufgeloͤſet, die in ihm jetzt organiſch gebunden ſind; die innere Oekono- mie des animaliſchen Lebens aber hangt von dem verborgnen Reiz oder Balſam im Element der Luft ab, der den vollkom- menern Lauf des Bluts, ja den ganzen innern Zwiſt der Le- benskraͤfte unſrer Maſchine in Bewegung ſetzt; und ſo wird wirklich der Menſch durch den lebendigen Othem zur regſamen Seele. Durch ihn erhaͤlt und aͤußert er die Kraft, Lebenswaͤr- me zu verarbeiten und als ein ſich bewegendes, empfindendes, denkendes Geſchoͤpf zu handeln. Die aͤlteſte Philoſophie iſt mit den neueſten Erfahrungen hieruͤber einig. Ein Garten war der erſte Wohnſitz des Men- ſchen und auch dieſer Zug der Tradition iſt, wie ihn immer nur die Philoſophie erſinnen koͤnnte. Das Gartenleben iſt das leichteſte fuͤr die neugebohrne Menſchheit: denn jedes an- dre, T t 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/343>, abgerufen am 22.12.2024.