tere Mährchen ein Goldkorn historischer Ursage hervor. Der Ganges z. B. ist in ganz Jndien heilig und fließt unmittelbar von den heiligen Bergen, den Füßen des Weltschöpfers Bru- ma. Jn der achten Verwandlung erschien Wischnu als Pras- sarama: noch bedeckte das Wasser alles Land bis zum Gebürge Gate: er bat den Gott des Meers, daß er ihm Raum ver- schaffen und das Meer zurückziehen möchte, so weit, wenn er schösse, sein Pfeil reichte. Der Gott versprach und Pras- sarama schoß: wie weit der Pfeil flog, ward das Land trocken, die Malabarische Küste. Offenbar sagt uns, wie auch Son- nerat anmerkt, die Erzählung, daß das Meer einst bis zum Berge Gate gestanden habe und die Malabarische Küste jün- geres Land sei. Andere Sagen Jndischer Völker erzählen den Ursprung der Erde aus dem Wasser auf andre Weise. Whistnu schwamm auf einem Blatt: der erste Mensch ent- sprang aus ihm als eine Blume. Auf der Oberfläche der Wasserwogen schwamm ein Ei, das Brama zur Reife brach- te, aus dessen Häuten die Luft und der Himmel ward, wie aus seinem Jnhalt Geschöpfe, Thiere und Menschen. Doch man muß diese Sagen im Mährchenton der kindlichen Jndier selbst lesena).
Das
a) S. Sonnerat, Baldeus, Dow, Holwell u. f.
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tere Maͤhrchen ein Goldkorn hiſtoriſcher Urſage hervor. Der Ganges z. B. iſt in ganz Jndien heilig und fließt unmittelbar von den heiligen Bergen, den Fuͤßen des Weltſchoͤpfers Bru- ma. Jn der achten Verwandlung erſchien Wiſchnu als Praſ- ſarama: noch bedeckte das Waſſer alles Land bis zum Gebuͤrge Gate: er bat den Gott des Meers, daß er ihm Raum ver- ſchaffen und das Meer zuruͤckziehen moͤchte, ſo weit, wenn er ſchoͤſſe, ſein Pfeil reichte. Der Gott verſprach und Praſ- ſarama ſchoß: wie weit der Pfeil flog, ward das Land trocken, die Malabariſche Kuͤſte. Offenbar ſagt uns, wie auch Son- nerat anmerkt, die Erzaͤhlung, daß das Meer einſt bis zum Berge Gate geſtanden habe und die Malabariſche Kuͤſte juͤn- geres Land ſei. Andere Sagen Jndiſcher Voͤlker erzaͤhlen den Urſprung der Erde aus dem Waſſer auf andre Weiſe. Whiſtnu ſchwamm auf einem Blatt: der erſte Menſch ent- ſprang aus ihm als eine Blume. Auf der Oberflaͤche der Waſſerwogen ſchwamm ein Ei, das Brama zur Reife brach- te, aus deſſen Haͤuten die Luft und der Himmel ward, wie aus ſeinem Jnhalt Geſchoͤpfe, Thiere und Menſchen. Doch man muß dieſe Sagen im Maͤhrchenton der kindlichen Jndier ſelbſt leſena).
Das
a) S. Sonnerat, Baldeus, Dow, Holwell u. f.
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tere Maͤhrchen ein Goldkorn hiſtoriſcher Urſage hervor. Der
Ganges z. B. iſt in ganz Jndien heilig und fließt unmittelbar
von den heiligen Bergen, den Fuͤßen des Weltſchoͤpfers Bru-
ma. Jn der achten Verwandlung erſchien Wiſchnu als Praſ-
ſarama: noch bedeckte das Waſſer alles Land bis zum Gebuͤrge
Gate: er bat den Gott des Meers, daß er ihm Raum ver-
ſchaffen und das Meer zuruͤckziehen moͤchte, ſo weit, wenn
er ſchoͤſſe, ſein Pfeil reichte. Der Gott verſprach und Praſ-
ſarama ſchoß: wie weit der Pfeil flog, ward das Land trocken,
die Malabariſche Kuͤſte. Offenbar ſagt uns, wie auch Son-
nerat anmerkt, die Erzaͤhlung, daß das Meer einſt bis zum
Berge Gate geſtanden habe und die Malabariſche Kuͤſte juͤn-
geres Land ſei. Andere Sagen Jndiſcher Voͤlker erzaͤhlen
den Urſprung der Erde aus dem Waſſer auf andre Weiſe.
Whiſtnu ſchwamm auf einem Blatt: der erſte Menſch ent-
ſprang aus ihm als eine Blume. Auf der Oberflaͤche der
Waſſerwogen ſchwamm ein Ei, das Brama zur Reife brach-
te, aus deſſen Haͤuten die Luft und der Himmel ward, wie
aus ſeinem Jnhalt Geſchoͤpfe, Thiere und Menſchen. Doch
man muß dieſe Sagen im Maͤhrchenton der kindlichen Jndier
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/321>, abgerufen am 22.11.2024.
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