Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

wird aus herabgestoßenen Lahen erkläretb). Eine harte My-
thologie, die die Welt Bergab in die Meere bauet; diese mit
Ungeheuern umpflanzet und das ganze System der Wesen zu-
letzt einem Ungeheuer; der ewigen Nothwendigkeit in den Ra-
chen giebt. Auch diese entehrende Tradition indessen, die den
Menschen vom Affen herleitet, ist mit spätern Ausbildungen so
verwebet, daß viel dazu gehörte, sie als eine reine Ursage der
Vorwelt zu betrachten.

Schätzbar wäre es, wenn wir vom alten Volk der Hin-
dus ihre älteste Tradition besäßen. Ausserdem aber, daß die
erste Sekte des Bruma von den Anhängern Wischnu und
Schiwen's längst vertilgt ist, haben wir an dem, was Euro-
päer von ihren Geheimnissen bisher erfuhren, offenbar nur
junge Sagen, die entweder Mythologie für das Volk oder
auslegende Lehrgebäude ihrer Weisen sind. Auch nach Pro-
vinzen gehen sie Mährchenhaft auseinander, so daß wir, wie
auf die eigentliche Sanskritsprache, so auch auf den wahren
Wedam der Jndier wahrscheinlich noch lange zu warten
und dennoch auch in ihm von ihrer ältesten Tradition we-
nig zu erwarten haben, da sie den ersten Theil desselben selbst
für verlohren achten. Jndessen blickt auch durch manches spä-

tere
b) Georgii alphabet. Tibetan. Rom. 1762. p. 181. und sonst hin
und wieder.

wird aus herabgeſtoßenen Lahen erklaͤretb). Eine harte My-
thologie, die die Welt Bergab in die Meere bauet; dieſe mit
Ungeheuern umpflanzet und das ganze Syſtem der Weſen zu-
letzt einem Ungeheuer; der ewigen Nothwendigkeit in den Ra-
chen giebt. Auch dieſe entehrende Tradition indeſſen, die den
Menſchen vom Affen herleitet, iſt mit ſpaͤtern Ausbildungen ſo
verwebet, daß viel dazu gehoͤrte, ſie als eine reine Urſage der
Vorwelt zu betrachten.

Schaͤtzbar waͤre es, wenn wir vom alten Volk der Hin-
dus ihre aͤlteſte Tradition beſaͤßen. Auſſerdem aber, daß die
erſte Sekte des Bruma von den Anhaͤngern Wiſchnu und
Schiwen's laͤngſt vertilgt iſt, haben wir an dem, was Euro-
paͤer von ihren Geheimniſſen bisher erfuhren, offenbar nur
junge Sagen, die entweder Mythologie fuͤr das Volk oder
auslegende Lehrgebaͤude ihrer Weiſen ſind. Auch nach Pro-
vinzen gehen ſie Maͤhrchenhaft auseinander, ſo daß wir, wie
auf die eigentliche Sanſkritſprache, ſo auch auf den wahren
Wedam der Jndier wahrſcheinlich noch lange zu warten
und dennoch auch in ihm von ihrer aͤlteſten Tradition we-
nig zu erwarten haben, da ſie den erſten Theil deſſelben ſelbſt
fuͤr verlohren achten. Jndeſſen blickt auch durch manches ſpaͤ-

tere
b) Georgii alphabet. Tibetan. Rom. 1762. p. 181. und ſonſt hin
und wieder.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0320" n="308"/>
wird aus herabge&#x017F;toßenen Lahen erkla&#x0364;ret<note place="foot" n="b)"><hi rendition="#aq">Georgii alphabet. Tibetan. Rom. 1762. p. 181.</hi> und &#x017F;on&#x017F;t hin<lb/>
und wieder.</note>. Eine harte My-<lb/>
thologie, die die Welt Bergab in die Meere bauet; die&#x017F;e mit<lb/>
Ungeheuern umpflanzet und das ganze Sy&#x017F;tem der We&#x017F;en zu-<lb/>
letzt einem Ungeheuer; der ewigen Nothwendigkeit in den Ra-<lb/>
chen giebt. Auch die&#x017F;e entehrende Tradition inde&#x017F;&#x017F;en, die den<lb/>
Men&#x017F;chen vom Affen herleitet, i&#x017F;t mit &#x017F;pa&#x0364;tern Ausbildungen &#x017F;o<lb/>
verwebet, daß viel dazu geho&#x0364;rte, &#x017F;ie als eine reine Ur&#x017F;age der<lb/>
Vorwelt zu betrachten.</p><lb/>
          <p>Scha&#x0364;tzbar wa&#x0364;re es, wenn wir vom alten Volk der Hin-<lb/>
dus ihre a&#x0364;lte&#x017F;te Tradition be&#x017F;a&#x0364;ßen. Au&#x017F;&#x017F;erdem aber, daß die<lb/>
er&#x017F;te Sekte des Bruma von den Anha&#x0364;ngern Wi&#x017F;chnu und<lb/>
Schiwen's la&#x0364;ng&#x017F;t vertilgt i&#x017F;t, haben wir an dem, was Euro-<lb/>
pa&#x0364;er von ihren Geheimni&#x017F;&#x017F;en bisher erfuhren, offenbar nur<lb/>
junge Sagen, die entweder Mythologie fu&#x0364;r das Volk oder<lb/>
auslegende Lehrgeba&#x0364;ude ihrer Wei&#x017F;en &#x017F;ind. Auch nach Pro-<lb/>
vinzen gehen &#x017F;ie Ma&#x0364;hrchenhaft auseinander, &#x017F;o daß wir, wie<lb/>
auf die eigentliche San&#x017F;krit&#x017F;prache, &#x017F;o auch auf den wahren<lb/>
Wedam der Jndier wahr&#x017F;cheinlich noch lange zu warten<lb/>
und dennoch auch in ihm von ihrer a&#x0364;lte&#x017F;ten Tradition we-<lb/>
nig zu erwarten haben, da &#x017F;ie den er&#x017F;ten Theil de&#x017F;&#x017F;elben &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
fu&#x0364;r verlohren achten. Jnde&#x017F;&#x017F;en blickt auch durch manches &#x017F;pa&#x0364;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tere</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0320] wird aus herabgeſtoßenen Lahen erklaͤret b). Eine harte My- thologie, die die Welt Bergab in die Meere bauet; dieſe mit Ungeheuern umpflanzet und das ganze Syſtem der Weſen zu- letzt einem Ungeheuer; der ewigen Nothwendigkeit in den Ra- chen giebt. Auch dieſe entehrende Tradition indeſſen, die den Menſchen vom Affen herleitet, iſt mit ſpaͤtern Ausbildungen ſo verwebet, daß viel dazu gehoͤrte, ſie als eine reine Urſage der Vorwelt zu betrachten. Schaͤtzbar waͤre es, wenn wir vom alten Volk der Hin- dus ihre aͤlteſte Tradition beſaͤßen. Auſſerdem aber, daß die erſte Sekte des Bruma von den Anhaͤngern Wiſchnu und Schiwen's laͤngſt vertilgt iſt, haben wir an dem, was Euro- paͤer von ihren Geheimniſſen bisher erfuhren, offenbar nur junge Sagen, die entweder Mythologie fuͤr das Volk oder auslegende Lehrgebaͤude ihrer Weiſen ſind. Auch nach Pro- vinzen gehen ſie Maͤhrchenhaft auseinander, ſo daß wir, wie auf die eigentliche Sanſkritſprache, ſo auch auf den wahren Wedam der Jndier wahrſcheinlich noch lange zu warten und dennoch auch in ihm von ihrer aͤlteſten Tradition we- nig zu erwarten haben, da ſie den erſten Theil deſſelben ſelbſt fuͤr verlohren achten. Jndeſſen blickt auch durch manches ſpaͤ- tere b) Georgii alphabet. Tibetan. Rom. 1762. p. 181. und ſonſt hin und wieder.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/320
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/320>, abgerufen am 25.11.2024.