aller Geheimniße auf der Erde, die Anfangs allerdings viel Wissenswürdiges verbargen, zuletzt aber insonderheit seitdem menschliche Weisheit sich von ihnen getrennt hatte, in elenden Tand ausarteten; und so wurden die Priester derselben, bei ih- rem leergewordnen Heiligthum zuletzt arme Betrüger.
Wer sie am meisten als solche darstellete, waren die Re- genten und Weisen. Jene nämlich, die ihr hoher Stand, mit aller Macht bekleidet, gar bald auf zwanglose Ungebun- denheit führte, hielten es für Pflicht ihres Standes, auch die unsichtbaren höheren Mächte einzuschränken und also die Sym- bole derselben als Puppenwerk des Pöbels entweder zu dulden oder zu vernichten. Daher der unglückliche Streit zwischen dem Thron und Altar bei allen halbcultivirten Nationen; bis man endlich beide gar zu verbinden suchte und damit das un- förmliche Ding eines Altars auf dem Thron oder eines Throns auf dem Altar zur Welt brachte. Nothwendig mußten die entarteten Priester bei diesem ungleichen Streit allemal ver- lieren: denn sichtbare Macht stritt mit dem unsichtbaren Glau- ben, der Schatte einer alten Tradition sollte mit dem Glanz des goldenen Scepters kämpfen, den ehedem der Priester selbst geheiligt und dem Monarchen in die Hand gegeben hatte. Die Zeiten der Priesterherrschaft gingen also mit der wach- senden Cultur vorüber: der Despot, der ursprünglich seine
Krone
aller Geheimniße auf der Erde, die Anfangs allerdings viel Wiſſenswuͤrdiges verbargen, zuletzt aber inſonderheit ſeitdem menſchliche Weisheit ſich von ihnen getrennt hatte, in elenden Tand ausarteten; und ſo wurden die Prieſter derſelben, bei ih- rem leergewordnen Heiligthum zuletzt arme Betruͤger.
Wer ſie am meiſten als ſolche darſtellete, waren die Re- genten und Weiſen. Jene naͤmlich, die ihr hoher Stand, mit aller Macht bekleidet, gar bald auf zwangloſe Ungebun- denheit fuͤhrte, hielten es fuͤr Pflicht ihres Standes, auch die unſichtbaren hoͤheren Maͤchte einzuſchraͤnken und alſo die Sym- bole derſelben als Puppenwerk des Poͤbels entweder zu dulden oder zu vernichten. Daher der ungluͤckliche Streit zwiſchen dem Thron und Altar bei allen halbcultivirten Nationen; bis man endlich beide gar zu verbinden ſuchte und damit das un- foͤrmliche Ding eines Altars auf dem Thron oder eines Throns auf dem Altar zur Welt brachte. Nothwendig mußten die entarteten Prieſter bei dieſem ungleichen Streit allemal ver- lieren: denn ſichtbare Macht ſtritt mit dem unſichtbaren Glau- ben, der Schatte einer alten Tradition ſollte mit dem Glanz des goldenen Scepters kaͤmpfen, den ehedem der Prieſter ſelbſt geheiligt und dem Monarchen in die Hand gegeben hatte. Die Zeiten der Prieſterherrſchaft gingen alſo mit der wach- ſenden Cultur voruͤber: der Deſpot, der urſpruͤnglich ſeine
Krone
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aller Geheimniße auf der Erde, die Anfangs allerdings viel
Wiſſenswuͤrdiges verbargen, zuletzt aber inſonderheit ſeitdem
menſchliche Weisheit ſich von ihnen getrennt hatte, in elenden
Tand ausarteten; und ſo wurden die Prieſter derſelben, bei ih-
rem leergewordnen Heiligthum zuletzt arme Betruͤger.
Wer ſie am meiſten als ſolche darſtellete, waren die Re-
genten und Weiſen. Jene naͤmlich, die ihr hoher Stand,
mit aller Macht bekleidet, gar bald auf zwangloſe Ungebun-
denheit fuͤhrte, hielten es fuͤr Pflicht ihres Standes, auch die
unſichtbaren hoͤheren Maͤchte einzuſchraͤnken und alſo die Sym-
bole derſelben als Puppenwerk des Poͤbels entweder zu dulden
oder zu vernichten. Daher der ungluͤckliche Streit zwiſchen
dem Thron und Altar bei allen halbcultivirten Nationen; bis
man endlich beide gar zu verbinden ſuchte und damit das un-
foͤrmliche Ding eines Altars auf dem Thron oder eines Throns
auf dem Altar zur Welt brachte. Nothwendig mußten die
entarteten Prieſter bei dieſem ungleichen Streit allemal ver-
lieren: denn ſichtbare Macht ſtritt mit dem unſichtbaren Glau-
ben, der Schatte einer alten Tradition ſollte mit dem Glanz
des goldenen Scepters kaͤmpfen, den ehedem der Prieſter ſelbſt
geheiligt und dem Monarchen in die Hand gegeben hatte.
Die Zeiten der Prieſterherrſchaft gingen alſo mit der wach-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/280>, abgerufen am 24.11.2024.
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