sein Kind erziehet damit es, Lebenslang unmündig, Lebenslang eines Erziehers bedörfe: wie es ein böser Arzt ist, der die Krank- heit nährt, damit er dem Elenden bis ins Grab hin unent- behrlich werde; so mache man die Anwendung auf die Erzie- her des Menschengeschlechts, die Väter des Vaterlandes und ihre Erzognen. Entweder müssen diese durchaus keiner Bes- serung fähig seyn; oder alle die Jahrtausende, seitdem Men- schen regiert wurden, müßten es doch merklich gemacht haben, was aus ihnen geworden sei? und zu welchem Zweck jene sie erzogen haben? Der Verfolg dieses Werks wird solche Zwecke sehr deutlich zeigen.
2. Die Natur erzieht Familien; der natürlichste Staat ist also auch Ein Volk, mit Einem Nationalcharakter. Jahr- tausende lang erhält sich dieser in ihm und kann, wenn seinem mitgebohrnen Fürsten daran liegt, am natürlichsten ausgebil- det werden: denn ein Volk ist sowohl eine Pflanze der Natur, als eine Familie; nur jenes mit mehreren Zweigen. Nichts scheint also dem Zweck der Regierungen so offenbar entgegen, als die unnatürliche Vergrößerung der Staaten, die wilde Vermischung der Menschen Gattungen und Nationen unter Einen Scepter. Der Menschenscepter ist viel zu schwach und klein, daß so widersinnige Theile in ihn eingeimpft werden könnten; zusammengeleimt werden sie also in eine brechliche
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ſein Kind erziehet damit es, Lebenslang unmuͤndig, Lebenslang eines Erziehers bedoͤrfe: wie es ein boͤſer Arzt iſt, der die Krank- heit naͤhrt, damit er dem Elenden bis ins Grab hin unent- behrlich werde; ſo mache man die Anwendung auf die Erzie- her des Menſchengeſchlechts, die Vaͤter des Vaterlandes und ihre Erzognen. Entweder muͤſſen dieſe durchaus keiner Beſ- ſerung faͤhig ſeyn; oder alle die Jahrtauſende, ſeitdem Men- ſchen regiert wurden, muͤßten es doch merklich gemacht haben, was aus ihnen geworden ſei? und zu welchem Zweck jene ſie erzogen haben? Der Verfolg dieſes Werks wird ſolche Zwecke ſehr deutlich zeigen.
2. Die Natur erzieht Familien; der natuͤrlichſte Staat iſt alſo auch Ein Volk, mit Einem Nationalcharakter. Jahr- tauſende lang erhaͤlt ſich dieſer in ihm und kann, wenn ſeinem mitgebohrnen Fuͤrſten daran liegt, am natuͤrlichſten ausgebil- det werden: denn ein Volk iſt ſowohl eine Pflanze der Natur, als eine Familie; nur jenes mit mehreren Zweigen. Nichts ſcheint alſo dem Zweck der Regierungen ſo offenbar entgegen, als die unnatuͤrliche Vergroͤßerung der Staaten, die wilde Vermiſchung der Menſchen Gattungen und Nationen unter Einen Scepter. Der Menſchenſcepter iſt viel zu ſchwach und klein, daß ſo widerſinnige Theile in ihn eingeimpft werden koͤnnten; zuſammengeleimt werden ſie alſo in eine brechliche
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ſein Kind erziehet damit es, Lebenslang unmuͤndig, Lebenslang
eines Erziehers bedoͤrfe: wie es ein boͤſer Arzt iſt, der die Krank-
heit naͤhrt, damit er dem Elenden bis ins Grab hin unent-
behrlich werde; ſo mache man die Anwendung auf die Erzie-
her des Menſchengeſchlechts, die Vaͤter des Vaterlandes und
ihre Erzognen. Entweder muͤſſen dieſe durchaus keiner Beſ-
ſerung faͤhig ſeyn; oder alle die Jahrtauſende, ſeitdem Men-
ſchen regiert wurden, muͤßten es doch merklich gemacht haben,
was aus ihnen geworden ſei? und zu welchem Zweck jene ſie
erzogen haben? Der Verfolg dieſes Werks wird ſolche Zwecke
ſehr deutlich zeigen.
2. Die Natur erzieht Familien; der natuͤrlichſte Staat
iſt alſo auch Ein Volk, mit Einem Nationalcharakter. Jahr-
tauſende lang erhaͤlt ſich dieſer in ihm und kann, wenn ſeinem
mitgebohrnen Fuͤrſten daran liegt, am natuͤrlichſten ausgebil-
det werden: denn ein Volk iſt ſowohl eine Pflanze der Natur,
als eine Familie; nur jenes mit mehreren Zweigen. Nichts
ſcheint alſo dem Zweck der Regierungen ſo offenbar entgegen,
als die unnatuͤrliche Vergroͤßerung der Staaten, die wilde
Vermiſchung der Menſchen Gattungen und Nationen unter
Einen Scepter. Der Menſchenſcepter iſt viel zu ſchwach und
klein, daß ſo widerſinnige Theile in ihn eingeimpft werden
koͤnnten; zuſammengeleimt werden ſie alſo in eine brechliche
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/273>, abgerufen am 24.11.2024.
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