bleibt ihre Entwicklung auch dem Faden derselben aufbehalten. Für jetzt seyn nur noch einige allgemeine Blicke vergönnet:
1. Ein zwar leichter aber böser Grundsatz wäre es zur Philosophie der Menschen-Geschichte: "der Mensch sei ein Thier das einen Herren nöthig habe und von diesem Herren oder von einer Verbindung derselben das Glück seiner Endbe- stimmung erwarte." Kehre den Satz um: der Mensch, der einen Herren nöthig hat, ist ein Thier; sobald er Mensch wird, hat er keines eigentlichen Herren mehr nöthig. Die Natur nämlich hat unserm Geschlecht keinen Herren bezeichnet; nur thierische Laster und Leidenschaften machen uns desselben be- dürftig. Das Weib bedarf eines Mannes und der Mann des Weibes: das unerzogne Kind hat erziehender Eltern, der Kranke des Arztes, der Streitende des Entscheiders, der Haufe Volks eines Anführers nöthig: dies sind Natur-Verhältniße, die im Begrif der Sache liegen. Jm Begrif des Menschen liegt der Begrif eines ihm nöthigen Despoten, der auch Mensch sei, nicht: jener muß erst schwach gedacht werden, damit er eines Beschützers, unmündig, damit er eines Vormundes, wild, damit er eines Bezähmers, abscheulich, damit er eines Straf- Engels nöthig habe. Alle Regierungen der Menschen sind also nur aus Noth entstanden und um dieser fortwährenden Noth willen da. So wie es nun ein schlechter Vater ist, der
sein
bleibt ihre Entwicklung auch dem Faden derſelben aufbehalten. Fuͤr jetzt ſeyn nur noch einige allgemeine Blicke vergoͤnnet:
1. Ein zwar leichter aber boͤſer Grundſatz waͤre es zur Philoſophie der Menſchen-Geſchichte: „der Menſch ſei ein Thier das einen Herren noͤthig habe und von dieſem Herren oder von einer Verbindung derſelben das Gluͤck ſeiner Endbe- ſtimmung erwarte.„ Kehre den Satz um: der Menſch, der einen Herren noͤthig hat, iſt ein Thier; ſobald er Menſch wird, hat er keines eigentlichen Herren mehr noͤthig. Die Natur naͤmlich hat unſerm Geſchlecht keinen Herren bezeichnet; nur thieriſche Laſter und Leidenſchaften machen uns deſſelben be- duͤrftig. Das Weib bedarf eines Mannes und der Mann des Weibes: das unerzogne Kind hat erziehender Eltern, der Kranke des Arztes, der Streitende des Entſcheiders, der Haufe Volks eines Anfuͤhrers noͤthig: dies ſind Natur-Verhaͤltniße, die im Begrif der Sache liegen. Jm Begrif des Menſchen liegt der Begrif eines ihm noͤthigen Deſpoten, der auch Menſch ſei, nicht: jener muß erſt ſchwach gedacht werden, damit er eines Beſchuͤtzers, unmuͤndig, damit er eines Vormundes, wild, damit er eines Bezaͤhmers, abſcheulich, damit er eines Straf- Engels noͤthig habe. Alle Regierungen der Menſchen ſind alſo nur aus Noth entſtanden und um dieſer fortwaͤhrenden Noth willen da. So wie es nun ein ſchlechter Vater iſt, der
ſein
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bleibt ihre Entwicklung auch dem Faden derſelben aufbehalten.
Fuͤr jetzt ſeyn nur noch einige allgemeine Blicke vergoͤnnet:
1. Ein zwar leichter aber boͤſer Grundſatz waͤre es zur
Philoſophie der Menſchen-Geſchichte: „der Menſch ſei ein
Thier das einen Herren noͤthig habe und von dieſem Herren
oder von einer Verbindung derſelben das Gluͤck ſeiner Endbe-
ſtimmung erwarte.„ Kehre den Satz um: der Menſch, der
einen Herren noͤthig hat, iſt ein Thier; ſobald er Menſch wird,
hat er keines eigentlichen Herren mehr noͤthig. Die Natur
naͤmlich hat unſerm Geſchlecht keinen Herren bezeichnet; nur
thieriſche Laſter und Leidenſchaften machen uns deſſelben be-
duͤrftig. Das Weib bedarf eines Mannes und der Mann
des Weibes: das unerzogne Kind hat erziehender Eltern, der
Kranke des Arztes, der Streitende des Entſcheiders, der Haufe
Volks eines Anfuͤhrers noͤthig: dies ſind Natur-Verhaͤltniße,
die im Begrif der Sache liegen. Jm Begrif des Menſchen
liegt der Begrif eines ihm noͤthigen Deſpoten, der auch Menſch
ſei, nicht: jener muß erſt ſchwach gedacht werden, damit er
eines Beſchuͤtzers, unmuͤndig, damit er eines Vormundes, wild,
damit er eines Bezaͤhmers, abſcheulich, damit er eines Straf-
Engels noͤthig habe. Alle Regierungen der Menſchen ſind
alſo nur aus Noth entſtanden und um dieſer fortwaͤhrenden
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/272>, abgerufen am 24.11.2024.
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