Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

läuterung: es ist die natürliche Folge des genannten ersten Besi-
tzes der Länder und Menschen.

Man glaube nicht, daß dies etwa nur von Monarchieen,
als von Ungeheuern der Eroberung gelte, die ursprünglichen
Reiche aber anders entstanden seyn könnten: denn wie in der
Welt wären sie anders entstanden? So lange ein Vater über
seine Familie herrschte, war er Vater und ließ seine Söhne
auch Väter werden, über die er nur durch Rath zu vermögen
suchte. So lange mehrere Stämme aus freier Ueberlegung
zu einem bestimmten Geschäft sich Richter und Führer wähl-
ten: so lange waren diese Amtsführer nur Diener des gemei-
nen Zweckes, bestimmte Vorsteher der Versammlung; der
Name Herr, König, eigenmächtiger, willkührlicher, erblicher
Despot war Völkern dieser Verfassung etwas Unerhörtes.
Entschlummerte aber die Nation und ließ ihren Vater, Führer
und Richter walten, gab sie ihm endlich gar schlaftrunken-
dankbar, seiner Verdienste, seiner Macht, seines Reichthums
oder welcher Ursachen wegen es sonst sei, den Erbscepter in die
Hand, daß er sie und ihre Kinder wie der Hirt die Schaafe
weide; welch Verhältniß ließe sich hiebei denken, als Schwach-
heit auf der Einen, Uebermacht auf der andern Seite, also das
Recht des Stärkern. Wenn Nimrod Bestien tödtet und
nachher Menschen unterjocht: so ist er dort und hier ein Jä-

ger.

laͤuterung: es iſt die natuͤrliche Folge des genannten erſten Beſi-
tzes der Laͤnder und Menſchen.

Man glaube nicht, daß dies etwa nur von Monarchieen,
als von Ungeheuern der Eroberung gelte, die urſpruͤnglichen
Reiche aber anders entſtanden ſeyn koͤnnten: denn wie in der
Welt waͤren ſie anders entſtanden? So lange ein Vater uͤber
ſeine Familie herrſchte, war er Vater und ließ ſeine Soͤhne
auch Vaͤter werden, uͤber die er nur durch Rath zu vermoͤgen
ſuchte. So lange mehrere Staͤmme aus freier Ueberlegung
zu einem beſtimmten Geſchaͤft ſich Richter und Fuͤhrer waͤhl-
ten: ſo lange waren dieſe Amtsfuͤhrer nur Diener des gemei-
nen Zweckes, beſtimmte Vorſteher der Verſammlung; der
Name Herr, Koͤnig, eigenmaͤchtiger, willkuͤhrlicher, erblicher
Deſpot war Voͤlkern dieſer Verfaſſung etwas Unerhoͤrtes.
Entſchlummerte aber die Nation und ließ ihren Vater, Fuͤhrer
und Richter walten, gab ſie ihm endlich gar ſchlaftrunken-
dankbar, ſeiner Verdienſte, ſeiner Macht, ſeines Reichthums
oder welcher Urſachen wegen es ſonſt ſei, den Erbſcepter in die
Hand, daß er ſie und ihre Kinder wie der Hirt die Schaafe
weide; welch Verhaͤltniß ließe ſich hiebei denken, als Schwach-
heit auf der Einen, Uebermacht auf der andern Seite, alſo das
Recht des Staͤrkern. Wenn Nimrod Beſtien toͤdtet und
nachher Menſchen unterjocht: ſo iſt er dort und hier ein Jaͤ-

ger.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0266" n="254"/>
la&#x0364;uterung: es i&#x017F;t die natu&#x0364;rliche Folge des genannten er&#x017F;ten Be&#x017F;i-<lb/>
tzes der La&#x0364;nder und Men&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>Man glaube nicht, daß dies etwa nur von Monarchieen,<lb/>
als von Ungeheuern der Eroberung gelte, die ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen<lb/>
Reiche aber anders ent&#x017F;tanden &#x017F;eyn ko&#x0364;nnten: denn wie in der<lb/>
Welt wa&#x0364;ren &#x017F;ie anders ent&#x017F;tanden? So lange ein Vater u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;eine Familie herr&#x017F;chte, war er Vater und ließ &#x017F;eine So&#x0364;hne<lb/>
auch Va&#x0364;ter werden, u&#x0364;ber die er nur durch Rath zu vermo&#x0364;gen<lb/>
&#x017F;uchte. So lange mehrere Sta&#x0364;mme aus freier Ueberlegung<lb/>
zu einem be&#x017F;timmten Ge&#x017F;cha&#x0364;ft &#x017F;ich Richter und Fu&#x0364;hrer wa&#x0364;hl-<lb/>
ten: &#x017F;o lange waren die&#x017F;e Amtsfu&#x0364;hrer nur Diener des gemei-<lb/>
nen Zweckes, be&#x017F;timmte Vor&#x017F;teher der Ver&#x017F;ammlung; der<lb/>
Name Herr, Ko&#x0364;nig, eigenma&#x0364;chtiger, willku&#x0364;hrlicher, erblicher<lb/>
De&#x017F;pot war Vo&#x0364;lkern die&#x017F;er Verfa&#x017F;&#x017F;ung etwas Unerho&#x0364;rtes.<lb/>
Ent&#x017F;chlummerte aber die Nation und ließ ihren Vater, Fu&#x0364;hrer<lb/>
und Richter walten, gab &#x017F;ie ihm endlich gar &#x017F;chlaftrunken-<lb/>
dankbar, &#x017F;einer Verdien&#x017F;te, &#x017F;einer Macht, &#x017F;eines Reichthums<lb/>
oder welcher Ur&#x017F;achen wegen es &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ei, den Erb&#x017F;cepter in die<lb/>
Hand, daß er &#x017F;ie und ihre Kinder wie der Hirt die Schaafe<lb/>
weide; welch Verha&#x0364;ltniß ließe &#x017F;ich hiebei denken, als Schwach-<lb/>
heit auf der Einen, Uebermacht auf der andern Seite, al&#x017F;o das<lb/>
Recht des Sta&#x0364;rkern. Wenn Nimrod Be&#x017F;tien to&#x0364;dtet und<lb/>
nachher Men&#x017F;chen unterjocht: &#x017F;o i&#x017F;t er dort und hier ein Ja&#x0364;-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ger.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0266] laͤuterung: es iſt die natuͤrliche Folge des genannten erſten Beſi- tzes der Laͤnder und Menſchen. Man glaube nicht, daß dies etwa nur von Monarchieen, als von Ungeheuern der Eroberung gelte, die urſpruͤnglichen Reiche aber anders entſtanden ſeyn koͤnnten: denn wie in der Welt waͤren ſie anders entſtanden? So lange ein Vater uͤber ſeine Familie herrſchte, war er Vater und ließ ſeine Soͤhne auch Vaͤter werden, uͤber die er nur durch Rath zu vermoͤgen ſuchte. So lange mehrere Staͤmme aus freier Ueberlegung zu einem beſtimmten Geſchaͤft ſich Richter und Fuͤhrer waͤhl- ten: ſo lange waren dieſe Amtsfuͤhrer nur Diener des gemei- nen Zweckes, beſtimmte Vorſteher der Verſammlung; der Name Herr, Koͤnig, eigenmaͤchtiger, willkuͤhrlicher, erblicher Deſpot war Voͤlkern dieſer Verfaſſung etwas Unerhoͤrtes. Entſchlummerte aber die Nation und ließ ihren Vater, Fuͤhrer und Richter walten, gab ſie ihm endlich gar ſchlaftrunken- dankbar, ſeiner Verdienſte, ſeiner Macht, ſeines Reichthums oder welcher Urſachen wegen es ſonſt ſei, den Erbſcepter in die Hand, daß er ſie und ihre Kinder wie der Hirt die Schaafe weide; welch Verhaͤltniß ließe ſich hiebei denken, als Schwach- heit auf der Einen, Uebermacht auf der andern Seite, alſo das Recht des Staͤrkern. Wenn Nimrod Beſtien toͤdtet und nachher Menſchen unterjocht: ſo iſt er dort und hier ein Jaͤ- ger.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/266
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/266>, abgerufen am 24.11.2024.