gemeinschaftlichen Zweck ihres Geschäfts gehorchet. Alle Thiere, die in Heerden leben, haben solche Anführer; bei Rei- sen, Vertheidigungen, Anfällen und überhaupt bei jedem ge- meinschaftlichen Geschäft einer Menge ist ein solcher König des Spiels nöthig. Wir wollen diese Verfassung den zweiten Grad der natürlichen Regierung nennen: sie findet bei al- len Völkern statt, die blos ihrem Bedürfniß folgen und wie wirs nennen, im Stande der Natur leben. Selbst die er- wählten Richter eines Volks gehören zu diesem Grad der Regierung: die klügsten und besten nämlich werden zu ihrem Amt, als zu einem Geschäft erwählt, und mit dem Geschäft ist auch ihre Herrschaft zu Ende.
Aber wie anders ists mit dem dritten Grad, den Erbre- gierungen unter den Menschen! wo hören hier die Gesetze der Natur auf? oder wo fangen sie an? Daß der billigste und klügste Mann von den Streitenden zum Richter erwählt ward, war Natur der Sache und wenn er sich als einen solchen be- währt hatte, mochte ers bis in sein graues Alter bleiben. Nun aber stirbt der Alte und warum ist sein Sohn Richter? Daß ihn der klügste und billigste Vater erzeugt hat, ist kein Grund: denn weder Klugheit noch Billigkeit konnte er ihm einzeugen. Noch weniger wäre der Natur des Geschäfts nach die Nation verbunden, ihn deßhalb als solchen anzuerkennen, weil sie sei-
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gemeinſchaftlichen Zweck ihres Geſchaͤfts gehorchet. Alle Thiere, die in Heerden leben, haben ſolche Anfuͤhrer; bei Rei- ſen, Vertheidigungen, Anfaͤllen und uͤberhaupt bei jedem ge- meinſchaftlichen Geſchaͤft einer Menge iſt ein ſolcher Koͤnig des Spiels noͤthig. Wir wollen dieſe Verfaſſung den zweiten Grad der natuͤrlichen Regierung nennen: ſie findet bei al- len Voͤlkern ſtatt, die blos ihrem Beduͤrfniß folgen und wie wirs nennen, im Stande der Natur leben. Selbſt die er- waͤhlten Richter eines Volks gehoͤren zu dieſem Grad der Regierung: die kluͤgſten und beſten naͤmlich werden zu ihrem Amt, als zu einem Geſchaͤft erwaͤhlt, und mit dem Geſchaͤft iſt auch ihre Herrſchaft zu Ende.
Aber wie anders iſts mit dem dritten Grad, den Erbre- gierungen unter den Menſchen! wo hoͤren hier die Geſetze der Natur auf? oder wo fangen ſie an? Daß der billigſte und kluͤgſte Mann von den Streitenden zum Richter erwaͤhlt ward, war Natur der Sache und wenn er ſich als einen ſolchen be- waͤhrt hatte, mochte ers bis in ſein graues Alter bleiben. Nun aber ſtirbt der Alte und warum iſt ſein Sohn Richter? Daß ihn der kluͤgſte und billigſte Vater erzeugt hat, iſt kein Grund: denn weder Klugheit noch Billigkeit konnte er ihm einzeugen. Noch weniger waͤre der Natur des Geſchaͤfts nach die Nation verbunden, ihn deßhalb als ſolchen anzuerkennen, weil ſie ſei-
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gemeinſchaftlichen Zweck ihres Geſchaͤfts gehorchet. Alle
Thiere, die in Heerden leben, haben ſolche Anfuͤhrer; bei Rei-
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meinſchaftlichen Geſchaͤft einer Menge iſt ein ſolcher Koͤnig des
Spiels noͤthig. Wir wollen dieſe Verfaſſung den zweiten
Grad der natuͤrlichen Regierung nennen: ſie findet bei al-
len Voͤlkern ſtatt, die blos ihrem Beduͤrfniß folgen und wie
wirs nennen, im Stande der Natur leben. Selbſt die er-
waͤhlten Richter eines Volks gehoͤren zu dieſem Grad der
Regierung: die kluͤgſten und beſten naͤmlich werden zu ihrem
Amt, als zu einem Geſchaͤft erwaͤhlt, und mit dem Geſchaͤft
iſt auch ihre Herrſchaft zu Ende.
Aber wie anders iſts mit dem dritten Grad, den Erbre-
gierungen unter den Menſchen! wo hoͤren hier die Geſetze
der Natur auf? oder wo fangen ſie an? Daß der billigſte und
kluͤgſte Mann von den Streitenden zum Richter erwaͤhlt ward,
war Natur der Sache und wenn er ſich als einen ſolchen be-
waͤhrt hatte, mochte ers bis in ſein graues Alter bleiben. Nun
aber ſtirbt der Alte und warum iſt ſein Sohn Richter? Daß
ihn der kluͤgſte und billigſte Vater erzeugt hat, iſt kein Grund:
denn weder Klugheit noch Billigkeit konnte er ihm einzeugen.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/263>, abgerufen am 24.11.2024.
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