gerechnet, gebildeter als jene politische oder gelehrte Maschine, die wie ein Kind auf einem sehr hohen Gerüst steht, das aber leider fremde Hände, ja das oft die ganze Mühe der Vorwelt erbaute. Der Naturmensch dagegen ist ein zwar beschränk- ter, aber gesunder und tüchtiger Mann auf der Erde. Nie- mand wirds läugnen, daß Europa das Archiv der Kunst und des aussinnenden menschlichen Verstandes sei: das Schicksal der Zeitenfolge hat in ihm seine Schätze niedergelegt: sie sind in ihm vermehrt worden und werden gebrauchet. Darum aber hat nicht jeder, der sie gebraucht, den Verstand des Erfinders; vielmehr ist dieser eines Theils durch den Gebrauch müßig worden: denn wenn ich das Werkzeug eines Fremden habe, so erfinde ich mir schwerlich selbst ein Werkzeug.
Eine weit schwerere Frage ists noch: was Künste und Wissenschaften zur Glückseligkeit der Menschen gethan oder wiefern sie diese vermehrt haben? und ich glaube, weder mit Ja noch Nein kann die Frage schlechthin entschieden werden, weil wie allenthalben so auch hier auf den Gebrauch des Er- fundenen alles ankommt. Daß feinere und künstlichere Werk- zeuge in der Welt sind und also mit wenigerm mehr gethan, mithin manche Menschenmühe geschont und erspart werden kann, wenn man sie schonen und sparen mag; darüber ist keine Frage. Auch ist es unstreitig, daß mit jeder Kunst und Wis-
senschaft
gerechnet, gebildeter als jene politiſche oder gelehrte Maſchine, die wie ein Kind auf einem ſehr hohen Geruͤſt ſteht, das aber leider fremde Haͤnde, ja das oft die ganze Muͤhe der Vorwelt erbaute. Der Naturmenſch dagegen iſt ein zwar beſchraͤnk- ter, aber geſunder und tuͤchtiger Mann auf der Erde. Nie- mand wirds laͤugnen, daß Europa das Archiv der Kunſt und des ausſinnenden menſchlichen Verſtandes ſei: das Schickſal der Zeitenfolge hat in ihm ſeine Schaͤtze niedergelegt: ſie ſind in ihm vermehrt worden und werden gebrauchet. Darum aber hat nicht jeder, der ſie gebraucht, den Verſtand des Erfinders; vielmehr iſt dieſer eines Theils durch den Gebrauch muͤßig worden: denn wenn ich das Werkzeug eines Fremden habe, ſo erfinde ich mir ſchwerlich ſelbſt ein Werkzeug.
Eine weit ſchwerere Frage iſts noch: was Kuͤnſte und Wiſſenſchaften zur Gluͤckſeligkeit der Menſchen gethan oder wiefern ſie dieſe vermehrt haben? und ich glaube, weder mit Ja noch Nein kann die Frage ſchlechthin entſchieden werden, weil wie allenthalben ſo auch hier auf den Gebrauch des Er- fundenen alles ankommt. Daß feinere und kuͤnſtlichere Werk- zeuge in der Welt ſind und alſo mit wenigerm mehr gethan, mithin manche Menſchenmuͤhe geſchont und erſpart werden kann, wenn man ſie ſchonen und ſparen mag; daruͤber iſt keine Frage. Auch iſt es unſtreitig, daß mit jeder Kunſt und Wiſ-
ſenſchaft
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gerechnet, gebildeter als jene politiſche oder gelehrte Maſchine,
die wie ein Kind auf einem ſehr hohen Geruͤſt ſteht, das aber
leider fremde Haͤnde, ja das oft die ganze Muͤhe der Vorwelt
erbaute. Der Naturmenſch dagegen iſt ein zwar beſchraͤnk-
ter, aber geſunder und tuͤchtiger Mann auf der Erde. Nie-
mand wirds laͤugnen, daß Europa das Archiv der Kunſt und
des ausſinnenden menſchlichen Verſtandes ſei: das Schickſal
der Zeitenfolge hat in ihm ſeine Schaͤtze niedergelegt: ſie ſind
in ihm vermehrt worden und werden gebrauchet. Darum aber
hat nicht jeder, der ſie gebraucht, den Verſtand des Erfinders;
vielmehr iſt dieſer eines Theils durch den Gebrauch muͤßig
worden: denn wenn ich das Werkzeug eines Fremden habe,
ſo erfinde ich mir ſchwerlich ſelbſt ein Werkzeug.
Eine weit ſchwerere Frage iſts noch: was Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften zur Gluͤckſeligkeit der Menſchen gethan oder
wiefern ſie dieſe vermehrt haben? und ich glaube, weder mit
Ja noch Nein kann die Frage ſchlechthin entſchieden werden,
weil wie allenthalben ſo auch hier auf den Gebrauch des Er-
fundenen alles ankommt. Daß feinere und kuͤnſtlichere Werk-
zeuge in der Welt ſind und alſo mit wenigerm mehr gethan,
mithin manche Menſchenmuͤhe geſchont und erſpart werden
kann, wenn man ſie ſchonen und ſparen mag; daruͤber iſt keine
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/258>, abgerufen am 24.11.2024.
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