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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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seyn würde, so wäre vielmehr eine Geschichte der Erfindun-
gen
das lehrreiche Werk, das die Götter und Genien des Men-
schengeschlechts ihren Nachkommen zum ewigen Muster machte.
Allenthalben würde man sehen, wie Schicksal und Zufall die-
sem Erfinder ein neues Merkmal ins Auge, jenem eine neue
Bezeichnung als Werkzeug in die Seele gebracht und meistens
durch eine kleine Zusammenrückung zweier lange bekannter
Gedanken eine Kunst befördert habe, die nachher auf Jahr-
tausende wirkte. Oft war diese erfunden und ward vergessen:
ihre Theorie lag da und sie ward nicht gebraucht; bis ein glück-
licher Andre das liegende Gold in Umlauf brachte oder mit
einem kleinen Hebel aus einem neuen Standpunkt Welten
bewegte. Vielleicht ist keine Geschichte, die so augenscheinlich
die Regierung eines höhern Schicksals in menschlichen Din-
gen zeigt, als die Geschichte dessen, worauf unser Geist am
stolzesten zu seyn pflegt, der Erfindung und Verbesserung der
Künste. Jmmer war das Merkmal und die Materie seiner
Bezeichnung längst dagewesen: aber jetzt ward es bemerkt, jetzt
ward es bezeichnet. Die Genesis der Kunst, wie des Men-
schen, war ein Augenblick des Vergnügens, eine Vermählung
zwischen Jdee und Zeichen, zwischen Geist und Körper.

Mit Hochachtung geschiehet es, daß ich die Erfindungen
des menschlichen Geistes auf dies einfache Principium seiner

aner-

ſeyn wuͤrde, ſo waͤre vielmehr eine Geſchichte der Erfindun-
gen
das lehrreiche Werk, das die Goͤtter und Genien des Men-
ſchengeſchlechts ihren Nachkommen zum ewigen Muſter machte.
Allenthalben wuͤrde man ſehen, wie Schickſal und Zufall die-
ſem Erfinder ein neues Merkmal ins Auge, jenem eine neue
Bezeichnung als Werkzeug in die Seele gebracht und meiſtens
durch eine kleine Zuſammenruͤckung zweier lange bekannter
Gedanken eine Kunſt befoͤrdert habe, die nachher auf Jahr-
tauſende wirkte. Oft war dieſe erfunden und ward vergeſſen:
ihre Theorie lag da und ſie ward nicht gebraucht; bis ein gluͤck-
licher Andre das liegende Gold in Umlauf brachte oder mit
einem kleinen Hebel aus einem neuen Standpunkt Welten
bewegte. Vielleicht iſt keine Geſchichte, die ſo augenſcheinlich
die Regierung eines hoͤhern Schickſals in menſchlichen Din-
gen zeigt, als die Geſchichte deſſen, worauf unſer Geiſt am
ſtolzeſten zu ſeyn pflegt, der Erfindung und Verbeſſerung der
Kuͤnſte. Jmmer war das Merkmal und die Materie ſeiner
Bezeichnung laͤngſt dageweſen: aber jetzt ward es bemerkt, jetzt
ward es bezeichnet. Die Geneſis der Kunſt, wie des Men-
ſchen, war ein Augenblick des Vergnuͤgens, eine Vermaͤhlung
zwiſchen Jdee und Zeichen, zwiſchen Geiſt und Koͤrper.

Mit Hochachtung geſchiehet es, daß ich die Erfindungen
des menſchlichen Geiſtes auf dies einfache Principium ſeiner

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[242/0254] ſeyn wuͤrde, ſo waͤre vielmehr eine Geſchichte der Erfindun- gen das lehrreiche Werk, das die Goͤtter und Genien des Men- ſchengeſchlechts ihren Nachkommen zum ewigen Muſter machte. Allenthalben wuͤrde man ſehen, wie Schickſal und Zufall die- ſem Erfinder ein neues Merkmal ins Auge, jenem eine neue Bezeichnung als Werkzeug in die Seele gebracht und meiſtens durch eine kleine Zuſammenruͤckung zweier lange bekannter Gedanken eine Kunſt befoͤrdert habe, die nachher auf Jahr- tauſende wirkte. Oft war dieſe erfunden und ward vergeſſen: ihre Theorie lag da und ſie ward nicht gebraucht; bis ein gluͤck- licher Andre das liegende Gold in Umlauf brachte oder mit einem kleinen Hebel aus einem neuen Standpunkt Welten bewegte. Vielleicht iſt keine Geſchichte, die ſo augenſcheinlich die Regierung eines hoͤhern Schickſals in menſchlichen Din- gen zeigt, als die Geſchichte deſſen, worauf unſer Geiſt am ſtolzeſten zu ſeyn pflegt, der Erfindung und Verbeſſerung der Kuͤnſte. Jmmer war das Merkmal und die Materie ſeiner Bezeichnung laͤngſt dageweſen: aber jetzt ward es bemerkt, jetzt ward es bezeichnet. Die Geneſis der Kunſt, wie des Men- ſchen, war ein Augenblick des Vergnuͤgens, eine Vermaͤhlung zwiſchen Jdee und Zeichen, zwiſchen Geiſt und Koͤrper. Mit Hochachtung geſchiehet es, daß ich die Erfindungen des menſchlichen Geiſtes auf dies einfache Principium ſeiner aner-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/254>, abgerufen am 24.11.2024.