men, dazu auch unsre Maschine nicht gemacht ist, sondern den gesunden Duft der Erde.
Und o sollten die Menschen im Gebiet wahrer und nutz- barer Begriffe so weit von einander entfernt seyn, als es die stolze Speculation wähnet? Die Geschichte der Nationen so- wohl, als die Natur der Vernunft und Sprache verbie- tet mir fast, dies zu glauben. Der arme Wilde, der wenige Dinge sah und noch weniger Begriffe zusammenfügte, verfuhr in ih- rer Verbindung nicht anders als der Erste der Philosophen. Er hat Sprache wie sie und durch diese seinen Verstand und sein Gedächtniß, seine Phantasie und Zurückerinnerung tau- sendfach geübet. Ob in einem kleinern oder größern Kreise? dieses thut nichts zur Sache; zu der menschlichen Art nämlich, wie er sie übte. Der Weltweise Europens kann keine einzige Seelenkraft nennen, die ihm eigen sei; ja selbst im Verhält- niß der Kräfte und ihrer Uebung erstattet die Natur reichlich. Bei manchen Wilden z. B. ist das Gedächtniß, die Einbil- dungskraft, praktische Klugheit, schneller Entschluß, richtiges Urtheil, lebhafter Ausdruck in einer Blüthe, die bei der künst- lichen Vernunft Europäischer Gelehrten selten gedeihet. Diese hingegen rechnen mit Wortbegriffen und Ziffern, freilich un- endlich feine und künstliche Combinationen, an die der Natur- mensch nicht denket; eine sitzende Rechenmaschine aber, wäre
sie
Jdeen,II.Th. G g
men, dazu auch unſre Maſchine nicht gemacht iſt, ſondern den geſunden Duft der Erde.
Und o ſollten die Menſchen im Gebiet wahrer und nutz- barer Begriffe ſo weit von einander entfernt ſeyn, als es die ſtolze Speculation waͤhnet? Die Geſchichte der Nationen ſo- wohl, als die Natur der Vernunft und Sprache verbie- tet mir faſt, dies zu glauben. Der arme Wilde, der wenige Dinge ſah und noch weniger Begriffe zuſammenfuͤgte, verfuhr in ih- rer Verbindung nicht anders als der Erſte der Philoſophen. Er hat Sprache wie ſie und durch dieſe ſeinen Verſtand und ſein Gedaͤchtniß, ſeine Phantaſie und Zuruͤckerinnerung tau- ſendfach geuͤbet. Ob in einem kleinern oder groͤßern Kreiſe? dieſes thut nichts zur Sache; zu der menſchlichen Art naͤmlich, wie er ſie uͤbte. Der Weltweiſe Europens kann keine einzige Seelenkraft nennen, die ihm eigen ſei; ja ſelbſt im Verhaͤlt- niß der Kraͤfte und ihrer Uebung erſtattet die Natur reichlich. Bei manchen Wilden z. B. iſt das Gedaͤchtniß, die Einbil- dungskraft, praktiſche Klugheit, ſchneller Entſchluß, richtiges Urtheil, lebhafter Ausdruck in einer Bluͤthe, die bei der kuͤnſt- lichen Vernunft Europaͤiſcher Gelehrten ſelten gedeihet. Dieſe hingegen rechnen mit Wortbegriffen und Ziffern, freilich un- endlich feine und kuͤnſtliche Combinationen, an die der Natur- menſch nicht denket; eine ſitzende Rechenmaſchine aber, waͤre
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men, dazu auch unſre Maſchine nicht gemacht iſt, ſondern
den geſunden Duft der Erde.
Und o ſollten die Menſchen im Gebiet wahrer und nutz-
barer Begriffe ſo weit von einander entfernt ſeyn, als es die
ſtolze Speculation waͤhnet? Die Geſchichte der Nationen ſo-
wohl, als die Natur der Vernunft und Sprache verbie-
tet mir faſt, dies zu glauben. Der arme Wilde, der wenige Dinge
ſah und noch weniger Begriffe zuſammenfuͤgte, verfuhr in ih-
rer Verbindung nicht anders als der Erſte der Philoſophen.
Er hat Sprache wie ſie und durch dieſe ſeinen Verſtand und
ſein Gedaͤchtniß, ſeine Phantaſie und Zuruͤckerinnerung tau-
ſendfach geuͤbet. Ob in einem kleinern oder groͤßern Kreiſe?
dieſes thut nichts zur Sache; zu der menſchlichen Art naͤmlich,
wie er ſie uͤbte. Der Weltweiſe Europens kann keine einzige
Seelenkraft nennen, die ihm eigen ſei; ja ſelbſt im Verhaͤlt-
niß der Kraͤfte und ihrer Uebung erſtattet die Natur reichlich.
Bei manchen Wilden z. B. iſt das Gedaͤchtniß, die Einbil-
dungskraft, praktiſche Klugheit, ſchneller Entſchluß, richtiges
Urtheil, lebhafter Ausdruck in einer Bluͤthe, die bei der kuͤnſt-
lichen Vernunft Europaͤiſcher Gelehrten ſelten gedeihet. Dieſe
hingegen rechnen mit Wortbegriffen und Ziffern, freilich un-
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menſch nicht denket; eine ſitzende Rechenmaſchine aber, waͤre
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/245>, abgerufen am 25.11.2024.
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