de oder bauende Mühe der Menschen stattfände: denn alle sind wir hier nur in einer Werkstäte der Uebung. Jeder Einzelne muß davon und da es ihm sodann gleich seyn kann, was die Nachwelt mit seinen Werken vornehme, so wäre es einem gu- ten Geist sogar widrig, wenn die folgenden Geschlechter solche mit todter Stupidität anbeten und nichts eigenes unternehmen wollten. Er gönnet ihnen diese neue Mühe: denn was Er aus der Welt mitnahm, war seine gestärkte Kraft, die innere reiche Frucht seiner menschlichen Uebung.
Goldene Kette der Bildung also, du die die Erde um- schlingt und durch alle Jndividuen bis zum Thron der Vor- sehung reichet, seitdem ich dich ersah und in deinen schönsten Gliedern, den Vater- und Mutter- den Freundes- und Leh- rer-Empfindungen verfolgte, ist mir die Geschichte nicht mehr, was sie mir sonst schien, ein Gräuel der Verwüstung auf einer heiligen Erde. Tausend Schandthaten stehen da mit häßli- chem Lobe verschleiert: tausend andre stehn in ihrer ganzen Häß- lichkeit daneben, um allenthalben doch das sparsame wahre Verdienst wirkender Humanität auszuzeichnen, das auf unsrer Erde immer still und verborgen ging und selten die Folgen kannte, die die Vorsehung aus seinem Leben, wie den Geist aus der Masse hervorzog. Nur unter Stürmen konnte die edle Pflanze erwachsen; nur durch Entgegenstreben gegen falsche
Anmaas-
de oder bauende Muͤhe der Menſchen ſtattfaͤnde: denn alle ſind wir hier nur in einer Werkſtaͤte der Uebung. Jeder Einzelne muß davon und da es ihm ſodann gleich ſeyn kann, was die Nachwelt mit ſeinen Werken vornehme, ſo waͤre es einem gu- ten Geiſt ſogar widrig, wenn die folgenden Geſchlechter ſolche mit todter Stupiditaͤt anbeten und nichts eigenes unternehmen wollten. Er goͤnnet ihnen dieſe neue Muͤhe: denn was Er aus der Welt mitnahm, war ſeine geſtaͤrkte Kraft, die innere reiche Frucht ſeiner menſchlichen Uebung.
Goldene Kette der Bildung alſo, du die die Erde um- ſchlingt und durch alle Jndividuen bis zum Thron der Vor- ſehung reichet, ſeitdem ich dich erſah und in deinen ſchoͤnſten Gliedern, den Vater- und Mutter- den Freundes- und Leh- rer-Empfindungen verfolgte, iſt mir die Geſchichte nicht mehr, was ſie mir ſonſt ſchien, ein Graͤuel der Verwuͤſtung auf einer heiligen Erde. Tauſend Schandthaten ſtehen da mit haͤßli- chem Lobe verſchleiert: tauſend andre ſtehn in ihrer ganzen Haͤß- lichkeit daneben, um allenthalben doch das ſparſame wahre Verdienſt wirkender Humanitaͤt auszuzeichnen, das auf unſrer Erde immer ſtill und verborgen ging und ſelten die Folgen kannte, die die Vorſehung aus ſeinem Leben, wie den Geiſt aus der Maſſe hervorzog. Nur unter Stuͤrmen konnte die edle Pflanze erwachſen; nur durch Entgegenſtreben gegen falſche
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de oder bauende Muͤhe der Menſchen ſtattfaͤnde: denn alle
ſind wir hier nur in einer Werkſtaͤte der Uebung. Jeder Einzelne
muß davon und da es ihm ſodann gleich ſeyn kann, was die
Nachwelt mit ſeinen Werken vornehme, ſo waͤre es einem gu-
ten Geiſt ſogar widrig, wenn die folgenden Geſchlechter ſolche
mit todter Stupiditaͤt anbeten und nichts eigenes unternehmen
wollten. Er goͤnnet ihnen dieſe neue Muͤhe: denn was Er
aus der Welt mitnahm, war ſeine geſtaͤrkte Kraft, die innere
reiche Frucht ſeiner menſchlichen Uebung.
Goldene Kette der Bildung alſo, du die die Erde um-
ſchlingt und durch alle Jndividuen bis zum Thron der Vor-
ſehung reichet, ſeitdem ich dich erſah und in deinen ſchoͤnſten
Gliedern, den Vater- und Mutter- den Freundes- und Leh-
rer-Empfindungen verfolgte, iſt mir die Geſchichte nicht mehr,
was ſie mir ſonſt ſchien, ein Graͤuel der Verwuͤſtung auf einer
heiligen Erde. Tauſend Schandthaten ſtehen da mit haͤßli-
chem Lobe verſchleiert: tauſend andre ſtehn in ihrer ganzen Haͤß-
lichkeit daneben, um allenthalben doch das ſparſame wahre
Verdienſt wirkender Humanitaͤt auszuzeichnen, das auf unſrer
Erde immer ſtill und verborgen ging und ſelten die Folgen
kannte, die die Vorſehung aus ſeinem Leben, wie den Geiſt aus
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/234>, abgerufen am 26.11.2024.
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