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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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tung Aufmunterung und Trost giebt, nämlich: ist das Men-
schengeschlecht nicht durch sich selbst entstanden, ja wird es An-
lagen in seiner Natur gewahr, die keine Bewunderung gnug-
sam preiset: so muß auch die Bildung dieser Anlagen vom
Schöpfer durch Mittel bestimmt seyn, die seine weiseste Vater-
güte verrathen. Ward das leibliche Auge vergebens so schön
[g]ebildet? und findet es nicht sogleich den goldnen Lichtstral vor
sich, der für dasselbe, wie das Auge für den Lichtstral, erschaf-
fen ist und die Weisheit seiner Anlage vollendet? So ists
mit allen Sinnen, mit allen Organen: sie finden ihre Mittel
zur Ausbildung, das Medium, zu dem sie geschaffen wurden.
Und mit den geistigen Sinnen und Organen, auf deren Ge-
brauch der Charakter des Menschengeschlechts so wie die Art
und das Maas seiner Glückseligkeit beruhet; hier sollte es
anders seyn? hier sollte der Schöpfer seine Absicht, mithin
die Absicht der ganzen Natur, sofern sie vom Gebrauch mensch-
licher Kräfte abhangt, verfehlt haben? Unmöglich! Jeder
Wahn hierüber muß an uns liegen, die wir dem Schöpfer
entweder falsche Zwecke unterschieben oder, so viel an uns ist,
sie vereiteln. Da aber auch diese Vereitlung ihre Grenzen
haben muß und kein Entwurf des Allweisen von einem Ge-
schöpf seiner Gedanken verrückt werden kann: so laßet uns
sicher und gewiß seyn, daß, was Absicht Gottes auf unsrer
Erde mit dem Menschengeschlecht ist, auch in seiner verworren-

sten
Jdeen, II. Th. E e

tung Aufmunterung und Troſt giebt, naͤmlich: iſt das Men-
ſchengeſchlecht nicht durch ſich ſelbſt entſtanden, ja wird es An-
lagen in ſeiner Natur gewahr, die keine Bewunderung gnug-
ſam preiſet: ſo muß auch die Bildung dieſer Anlagen vom
Schoͤpfer durch Mittel beſtimmt ſeyn, die ſeine weiſeſte Vater-
guͤte verrathen. Ward das leibliche Auge vergebens ſo ſchoͤn
[g]ebildet? und findet es nicht ſogleich den goldnen Lichtſtral vor
ſich, der fuͤr daſſelbe, wie das Auge fuͤr den Lichtſtral, erſchaf-
fen iſt und die Weisheit ſeiner Anlage vollendet? So iſts
mit allen Sinnen, mit allen Organen: ſie finden ihre Mittel
zur Ausbildung, das Medium, zu dem ſie geſchaffen wurden.
Und mit den geiſtigen Sinnen und Organen, auf deren Ge-
brauch der Charakter des Menſchengeſchlechts ſo wie die Art
und das Maas ſeiner Gluͤckſeligkeit beruhet; hier ſollte es
anders ſeyn? hier ſollte der Schoͤpfer ſeine Abſicht, mithin
die Abſicht der ganzen Natur, ſofern ſie vom Gebrauch menſch-
licher Kraͤfte abhangt, verfehlt haben? Unmoͤglich! Jeder
Wahn hieruͤber muß an uns liegen, die wir dem Schoͤpfer
entweder falſche Zwecke unterſchieben oder, ſo viel an uns iſt,
ſie vereiteln. Da aber auch dieſe Vereitlung ihre Grenzen
haben muß und kein Entwurf des Allweiſen von einem Ge-
ſchoͤpf ſeiner Gedanken verruͤckt werden kann: ſo laßet uns
ſicher und gewiß ſeyn, daß, was Abſicht Gottes auf unſrer
Erde mit dem Menſchengeſchlecht iſt, auch in ſeiner verworren-

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Jdeen, II. Th. E e
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[217/0229] tung Aufmunterung und Troſt giebt, naͤmlich: iſt das Men- ſchengeſchlecht nicht durch ſich ſelbſt entſtanden, ja wird es An- lagen in ſeiner Natur gewahr, die keine Bewunderung gnug- ſam preiſet: ſo muß auch die Bildung dieſer Anlagen vom Schoͤpfer durch Mittel beſtimmt ſeyn, die ſeine weiſeſte Vater- guͤte verrathen. Ward das leibliche Auge vergebens ſo ſchoͤn gebildet? und findet es nicht ſogleich den goldnen Lichtſtral vor ſich, der fuͤr daſſelbe, wie das Auge fuͤr den Lichtſtral, erſchaf- fen iſt und die Weisheit ſeiner Anlage vollendet? So iſts mit allen Sinnen, mit allen Organen: ſie finden ihre Mittel zur Ausbildung, das Medium, zu dem ſie geſchaffen wurden. Und mit den geiſtigen Sinnen und Organen, auf deren Ge- brauch der Charakter des Menſchengeſchlechts ſo wie die Art und das Maas ſeiner Gluͤckſeligkeit beruhet; hier ſollte es anders ſeyn? hier ſollte der Schoͤpfer ſeine Abſicht, mithin die Abſicht der ganzen Natur, ſofern ſie vom Gebrauch menſch- licher Kraͤfte abhangt, verfehlt haben? Unmoͤglich! Jeder Wahn hieruͤber muß an uns liegen, die wir dem Schoͤpfer entweder falſche Zwecke unterſchieben oder, ſo viel an uns iſt, ſie vereiteln. Da aber auch dieſe Vereitlung ihre Grenzen haben muß und kein Entwurf des Allweiſen von einem Ge- ſchoͤpf ſeiner Gedanken verruͤckt werden kann: ſo laßet uns ſicher und gewiß ſeyn, daß, was Abſicht Gottes auf unſrer Erde mit dem Menſchengeſchlecht iſt, auch in ſeiner verworren- ſten Jdeen, II. Th. E e

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/229>, abgerufen am 26.11.2024.