Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.I. So gern der Mensch alles aus sich selbst hervor- zubringen wähnet; so sehr hanget er doch in der Entwicklung seiner Fähigkeiten von an- dern ab. Nicht nur Philosophen haben die menschliche Vernunft, bendi- Jdeen, II. Th. D d
I. So gern der Menſch alles aus ſich ſelbſt hervor- zubringen waͤhnet; ſo ſehr hanget er doch in der Entwicklung ſeiner Faͤhigkeiten von an- dern ab. Nicht nur Philoſophen haben die menſchliche Vernunft, bendi- Jdeen, II. Th. D d
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I.
So gern der Menſch alles aus ſich ſelbſt hervor-
zubringen waͤhnet; ſo ſehr hanget er doch in
der Entwicklung ſeiner Faͤhigkeiten von an-
dern ab.
Nicht nur Philoſophen haben die menſchliche Vernunft,
als unabhaͤngig von Sinnen und Organen, zu einer ihm ur-
ſpruͤnglichen, reinen Potenz erhoben; ſondern auch der ſinn-
liche Menſch waͤhnet im Traum ſeines Lebens, er ſei alles, was
er iſt, durch ſich ſelbſt worden. Erklaͤrlich iſt dieſer Wahn,
zumal bei dem ſinnlichen Menſchen. Das Gefuͤhl der Selbſt-
thaͤtigkeit, das ihm der Schoͤpfer gegeben hat, regt ihn zu
Handlungen auf und belohnt ihn mit dem ſuͤßeſten Lohn einer
ſelbſtvollendeten Handlung. Die Jahre ſeiner Kindheit ſind
vergeſſen: die Keime, die er darinn empfing, ja die er noch
taͤglich empfaͤngt, ſchlummern in ſeiner Seele: er ſiehet und
genießt nur den entſproßten Stamm und freut ſich ſeines le-
bendi-
Jdeen, II. Th. D d
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