des Allseligen, der in Allem ist und sich in Allem freuet und fühlet. Daher jene unzerstörbare Heiterkeit und Freude, die mancher Europäer auf den Gesichtern und im Leben fremder Völker bewunderte, weil er sie bei seiner unruhigen Rastlosig- keit in sich nicht fühlte: daher auch jenes offene Wohlwollen, jene zuvorkommende, zwanglose Gefälligkeit aller glücklichen Völker der Erde, die nicht zur Rache oder Vertheidigung ge- zwungen wurden. Nach den Berichten der Unpartheiischen ist diese so allgemein ausgebreitet auf der Erde, daß ich sie den Charakter der Menschheit nennen möchte, wenn es nicht leider eben sowohl Charakter dieser zweideutigen Natur wäre, das offne Wohlwollen, die dienstfertige Heiterkeit und Freude in sich und andern einzuschränken, um sich aus Wahn oder aus Vernunft gegen die künftige Noth zu waffnen. Ein in sich glückliches Geschöpf, warum sollte es nicht auch andre glück- liche neben sich sehen und wo es kann zu ihrer Glückseligkeit beitragen? Nur weil wir selbst, mit Mangel umringt, so viel- bedürftig sind und es durch unsre Kunst und List noch mehr werden: so verenget sich unser Daseyn und die Wolke des Argwohns, des Kummers, der Mühe und Sorgen umnebelt ein Gesicht, das für die offne, Theilnehmende Freude gemacht war. Jndeß auch hier hatte die Natur das menschliche Herz in ihrer Hand und formte den fühlbaren Teig auf so mancher- lei Arten, daß wo sie nicht gebend befriedigen konnte, sie we-
nigstens
des Allſeligen, der in Allem iſt und ſich in Allem freuet und fuͤhlet. Daher jene unzerſtoͤrbare Heiterkeit und Freude, die mancher Europaͤer auf den Geſichtern und im Leben fremder Voͤlker bewunderte, weil er ſie bei ſeiner unruhigen Raſtloſig- keit in ſich nicht fuͤhlte: daher auch jenes offene Wohlwollen, jene zuvorkommende, zwangloſe Gefaͤlligkeit aller gluͤcklichen Voͤlker der Erde, die nicht zur Rache oder Vertheidigung ge- zwungen wurden. Nach den Berichten der Unpartheiiſchen iſt dieſe ſo allgemein ausgebreitet auf der Erde, daß ich ſie den Charakter der Menſchheit nennen moͤchte, wenn es nicht leider eben ſowohl Charakter dieſer zweideutigen Natur waͤre, das offne Wohlwollen, die dienſtfertige Heiterkeit und Freude in ſich und andern einzuſchraͤnken, um ſich aus Wahn oder aus Vernunft gegen die kuͤnftige Noth zu waffnen. Ein in ſich gluͤckliches Geſchoͤpf, warum ſollte es nicht auch andre gluͤck- liche neben ſich ſehen und wo es kann zu ihrer Gluͤckſeligkeit beitragen? Nur weil wir ſelbſt, mit Mangel umringt, ſo viel- beduͤrftig ſind und es durch unſre Kunſt und Liſt noch mehr werden: ſo verenget ſich unſer Daſeyn und die Wolke des Argwohns, des Kummers, der Muͤhe und Sorgen umnebelt ein Geſicht, das fuͤr die offne, Theilnehmende Freude gemacht war. Jndeß auch hier hatte die Natur das menſchliche Herz in ihrer Hand und formte den fuͤhlbaren Teig auf ſo mancher- lei Arten, daß wo ſie nicht gebend befriedigen konnte, ſie we-
nigſtens
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des Allſeligen, der in Allem iſt und ſich in Allem freuet und
fuͤhlet. Daher jene unzerſtoͤrbare Heiterkeit und Freude, die
mancher Europaͤer auf den Geſichtern und im Leben fremder
Voͤlker bewunderte, weil er ſie bei ſeiner unruhigen Raſtloſig-
keit in ſich nicht fuͤhlte: daher auch jenes offene Wohlwollen,
jene zuvorkommende, zwangloſe Gefaͤlligkeit aller gluͤcklichen
Voͤlker der Erde, die nicht zur Rache oder Vertheidigung ge-
zwungen wurden. Nach den Berichten der Unpartheiiſchen
iſt dieſe ſo allgemein ausgebreitet auf der Erde, daß ich ſie den
Charakter der Menſchheit nennen moͤchte, wenn es nicht leider
eben ſowohl Charakter dieſer zweideutigen Natur waͤre, das
offne Wohlwollen, die dienſtfertige Heiterkeit und Freude in
ſich und andern einzuſchraͤnken, um ſich aus Wahn oder aus
Vernunft gegen die kuͤnftige Noth zu waffnen. Ein in ſich
gluͤckliches Geſchoͤpf, warum ſollte es nicht auch andre gluͤck-
liche neben ſich ſehen und wo es kann zu ihrer Gluͤckſeligkeit
beitragen? Nur weil wir ſelbſt, mit Mangel umringt, ſo viel-
beduͤrftig ſind und es durch unſre Kunſt und Liſt noch mehr
werden: ſo verenget ſich unſer Daſeyn und die Wolke des
Argwohns, des Kummers, der Muͤhe und Sorgen umnebelt
ein Geſicht, das fuͤr die offne, Theilnehmende Freude gemacht
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/212>, abgerufen am 28.11.2024.
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