te diesen nur, wo es die Noth begehrte. Die meisten Natio- nen der Erde wirken und phantasiren, lieben und hassen, hof- fen und fürchten, lachen und weinen wie Kinder; sie genießen also auch wenigstens die Glückseligkeit kindlicher Jugendträu- me. Wehe dem Armen, der seinen Genuß des Lebens sich erst ergrübelt!
3. Da endlich unser Wohlseyn mehr ein stilles Gefühl als ein glänzender Gedanke ist: so sind es allerdings auch weit mehr die Empfindungen des Herzens, als die Wirkungen ei- ner tiefsinnigen Vernunft, die uns mit Liebe und Freude am Leben lohnen. Wie gut hat es also die große Mutter gemacht, daß sie die Quelle des Wohlwollens gegen sich und andre, die wahre Humanität unsres Geschlechts, zu der es erschaffen ist, fast unabhängig von Beweggründen und künstlichen Triebfe- dern in die Brust der Menschen pflanzte. Jedes Lebendige freuet sich seines Lebens; es fragt und grübelt nicht, wozu es dasei? sein Daseyn ist ihm Zweck und sein Zweck das Da- seyn. Kein Wilder mordete sich selbst, so wenig ein Thier sich selbst mordet: er pflanzt sein Geschlecht fort, ohne zu wissen, wozu ers fortpflanze und unterzieht sich auch unter dem Druck des härtesten Klima aller Mühe und Arbeit, nur damit er lebe. Dies einfache, tiefe, unersetzliche Gefühl des Daseyns also ist Glückseligkeit, ein kleiner Tropfe aus jenem unendlichen Meer
des
te dieſen nur, wo es die Noth begehrte. Die meiſten Natio- nen der Erde wirken und phantaſiren, lieben und haſſen, hof- fen und fuͤrchten, lachen und weinen wie Kinder; ſie genießen alſo auch wenigſtens die Gluͤckſeligkeit kindlicher Jugendtraͤu- me. Wehe dem Armen, der ſeinen Genuß des Lebens ſich erſt ergruͤbelt!
3. Da endlich unſer Wohlſeyn mehr ein ſtilles Gefuͤhl als ein glaͤnzender Gedanke iſt: ſo ſind es allerdings auch weit mehr die Empfindungen des Herzens, als die Wirkungen ei- ner tiefſinnigen Vernunft, die uns mit Liebe und Freude am Leben lohnen. Wie gut hat es alſo die große Mutter gemacht, daß ſie die Quelle des Wohlwollens gegen ſich und andre, die wahre Humanitaͤt unſres Geſchlechts, zu der es erſchaffen iſt, faſt unabhaͤngig von Beweggruͤnden und kuͤnſtlichen Triebfe- dern in die Bruſt der Menſchen pflanzte. Jedes Lebendige freuet ſich ſeines Lebens; es fragt und gruͤbelt nicht, wozu es daſei? ſein Daſeyn iſt ihm Zweck und ſein Zweck das Da- ſeyn. Kein Wilder mordete ſich ſelbſt, ſo wenig ein Thier ſich ſelbſt mordet: er pflanzt ſein Geſchlecht fort, ohne zu wiſſen, wozu ers fortpflanze und unterzieht ſich auch unter dem Druck des haͤrteſten Klima aller Muͤhe und Arbeit, nur damit er lebe. Dies einfache, tiefe, unerſetzliche Gefuͤhl des Daſeyns alſo iſt Gluͤckſeligkeit, ein kleiner Tropfe aus jenem unendlichen Meer
des
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te dieſen nur, wo es die Noth begehrte. Die meiſten Natio-
nen der Erde wirken und phantaſiren, lieben und haſſen, hof-
fen und fuͤrchten, lachen und weinen wie Kinder; ſie genießen
alſo auch wenigſtens die Gluͤckſeligkeit kindlicher Jugendtraͤu-
me. Wehe dem Armen, der ſeinen Genuß des Lebens ſich erſt
ergruͤbelt!
3. Da endlich unſer Wohlſeyn mehr ein ſtilles Gefuͤhl
als ein glaͤnzender Gedanke iſt: ſo ſind es allerdings auch weit
mehr die Empfindungen des Herzens, als die Wirkungen ei-
ner tiefſinnigen Vernunft, die uns mit Liebe und Freude am
Leben lohnen. Wie gut hat es alſo die große Mutter gemacht,
daß ſie die Quelle des Wohlwollens gegen ſich und andre, die
wahre Humanitaͤt unſres Geſchlechts, zu der es erſchaffen iſt,
faſt unabhaͤngig von Beweggruͤnden und kuͤnſtlichen Triebfe-
dern in die Bruſt der Menſchen pflanzte. Jedes Lebendige
freuet ſich ſeines Lebens; es fragt und gruͤbelt nicht, wozu es
daſei? ſein Daſeyn iſt ihm Zweck und ſein Zweck das Da-
ſeyn. Kein Wilder mordete ſich ſelbſt, ſo wenig ein Thier ſich
ſelbſt mordet: er pflanzt ſein Geſchlecht fort, ohne zu wiſſen,
wozu ers fortpflanze und unterzieht ſich auch unter dem Druck
des haͤrteſten Klima aller Muͤhe und Arbeit, nur damit er lebe.
Dies einfache, tiefe, unerſetzliche Gefuͤhl des Daſeyns alſo iſt
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/211>, abgerufen am 28.11.2024.
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