Unterschied nachbarlicher Nationen, die mit oder ohne diese Substituten ihrer Kräfte leben, ist augenscheinlich. Woher kams, daß das entlegne Amerika dem größesten Theil der al- ten Welt bei Entdeckung desselben noch so weit nachstand und die Europäer mit den Einwohnern, wie mit einer Heerde un- bewehrter Schaafe umgehen konnten? An körperlichen Kräften lag es nicht allein, wie noch jetzt die Beispiele aller ungezähl- ten Waldnationen zeigen: im Wuchs, in schnellem Lauf, in rascher Gewandheit übertreffen sie, Mann gegen Mann ge- rechnet, die meisten der Nationen, die um ihr Land würfeln. An Verstandeskraft, so fern sie für einen einzelnen Menschen gehört, lag es auch nicht: der Amerikaner hatte für sich zu sorgen gewußt und mit Weib' und Kindern glücklich gelebet. Also lag es an Kunst, an Waffen, an gemeinsamer Verbin- dung, am meisten aber an bezähmten Thieren. Hätte der Amerikaner das Einzige Pferd gehabt, dessen kriegerische Maje- stät er zitternd anerkannte, wären die wütenden Hunde sein gewesen, die die Spanier als mitbesoldete Diener der katholi- schen Majestät auf ihn hetzten; die Eroberung hätte mehr gekostet und den reitenden Nationen wäre wenigstens der Rück- zug auf ihre Berge, in ihre Wüsten und Ebnen offen geblie- ben. Noch jetzt erzählen alle Reisende, mache das Pferd den größesten Unterschied der Amerikanischen Völker. Die Rei- ter in Nord- insonderheit in Südamerika stehen von den ar-
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Unterſchied nachbarlicher Nationen, die mit oder ohne dieſe Subſtituten ihrer Kraͤfte leben, iſt augenſcheinlich. Woher kams, daß das entlegne Amerika dem groͤßeſten Theil der al- ten Welt bei Entdeckung deſſelben noch ſo weit nachſtand und die Europaͤer mit den Einwohnern, wie mit einer Heerde un- bewehrter Schaafe umgehen konnten? An koͤrperlichen Kraͤften lag es nicht allein, wie noch jetzt die Beiſpiele aller ungezaͤhl- ten Waldnationen zeigen: im Wuchs, in ſchnellem Lauf, in raſcher Gewandheit uͤbertreffen ſie, Mann gegen Mann ge- rechnet, die meiſten der Nationen, die um ihr Land wuͤrfeln. An Verſtandeskraft, ſo fern ſie fuͤr einen einzelnen Menſchen gehoͤrt, lag es auch nicht: der Amerikaner hatte fuͤr ſich zu ſorgen gewußt und mit Weib' und Kindern gluͤcklich gelebet. Alſo lag es an Kunſt, an Waffen, an gemeinſamer Verbin- dung, am meiſten aber an bezaͤhmten Thieren. Haͤtte der Amerikaner das Einzige Pferd gehabt, deſſen kriegeriſche Maje- ſtaͤt er zitternd anerkannte, waͤren die wuͤtenden Hunde ſein geweſen, die die Spanier als mitbeſoldete Diener der katholi- ſchen Majeſtaͤt auf ihn hetzten; die Eroberung haͤtte mehr gekoſtet und den reitenden Nationen waͤre wenigſtens der Ruͤck- zug auf ihre Berge, in ihre Wuͤſten und Ebnen offen geblie- ben. Noch jetzt erzaͤhlen alle Reiſende, mache das Pferd den groͤßeſten Unterſchied der Amerikaniſchen Voͤlker. Die Rei- ter in Nord- inſonderheit in Suͤdamerika ſtehen von den ar-
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Unterſchied nachbarlicher Nationen, die mit oder ohne dieſe
Subſtituten ihrer Kraͤfte leben, iſt augenſcheinlich. Woher
kams, daß das entlegne Amerika dem groͤßeſten Theil der al-
ten Welt bei Entdeckung deſſelben noch ſo weit nachſtand und
die Europaͤer mit den Einwohnern, wie mit einer Heerde un-
bewehrter Schaafe umgehen konnten? An koͤrperlichen Kraͤften
lag es nicht allein, wie noch jetzt die Beiſpiele aller ungezaͤhl-
ten Waldnationen zeigen: im Wuchs, in ſchnellem Lauf, in
raſcher Gewandheit uͤbertreffen ſie, Mann gegen Mann ge-
rechnet, die meiſten der Nationen, die um ihr Land wuͤrfeln.
An Verſtandeskraft, ſo fern ſie fuͤr einen einzelnen Menſchen
gehoͤrt, lag es auch nicht: der Amerikaner hatte fuͤr ſich zu
ſorgen gewußt und mit Weib' und Kindern gluͤcklich gelebet.
Alſo lag es an Kunſt, an Waffen, an gemeinſamer Verbin-
dung, am meiſten aber an bezaͤhmten Thieren. Haͤtte der
Amerikaner das Einzige Pferd gehabt, deſſen kriegeriſche Maje-
ſtaͤt er zitternd anerkannte, waͤren die wuͤtenden Hunde ſein
geweſen, die die Spanier als mitbeſoldete Diener der katholi-
ſchen Majeſtaͤt auf ihn hetzten; die Eroberung haͤtte mehr
gekoſtet und den reitenden Nationen waͤre wenigſtens der Ruͤck-
zug auf ihre Berge, in ihre Wuͤſten und Ebnen offen geblie-
ben. Noch jetzt erzaͤhlen alle Reiſende, mache das Pferd den
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/177>, abgerufen am 22.11.2024.
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