Specereien des Jndiers wählen. Jndessen wäre die Frage, wem wir, Trotz unsrer Cultur in Worten, dem größesten Theil nach näher seyn möchten, ob jenem oder diesem? Der Jndier setzt seine Glückseligkeit in leidenschaftlose Ruhe, in einen un- zerstörbaren Genuß der Heiterkeit und Freude: er athmet Wohllust: er schwimmt in einem Meer süßer Träume und erquickender Gerüche; unsre Ueppigkeit hingegen, um deren willen wir alle Welttheile beunruhigen und berauben, was will, was suchet sie? Neue und scharfe Gewürze für eine gestumpfte Zunge, fremde Früchte und Speisen, die wir in einem über- füllenden Gemisch oft nicht einmal kosten, berauschende Ge- tränke, die uns Ruhe und Geist rauben; was nur erdacht werden kann, unsre Natur aufregend zu zerstören, ist das täg- liche große Ziel unsres Lebens. Dadurch unterscheiden sich Stände: dadurch beglücken sich Nationen -- Beglücken? Weßhalb hungert der Arme und muß bei stumpfen Sinnen in Mühe und Schweis das elendeste Leben führen? Damit seine Großen und Reichen ohne Geschmack und vielleicht zu ewiger Nahrung ihrer Brutalität täglich auf feinere Art ihre Sinne stumpfen. "Der Europäer ißt alles", sagt der Jn- dier und sein feinerer Geruch hat schon vor den Ausdünstun- gen desselben einen Abscheu. Er kann ihn nach seinen Be- griffen nicht anders als in die verworfne Caste claßificiren, der, zur tiefsten Verachtung, alles zu essen erlaubt ward. Auch
in
Specereien des Jndiers waͤhlen. Jndeſſen waͤre die Frage, wem wir, Trotz unſrer Cultur in Worten, dem groͤßeſten Theil nach naͤher ſeyn moͤchten, ob jenem oder dieſem? Der Jndier ſetzt ſeine Gluͤckſeligkeit in leidenſchaftloſe Ruhe, in einen un- zerſtoͤrbaren Genuß der Heiterkeit und Freude: er athmet Wohlluſt: er ſchwimmt in einem Meer ſuͤßer Traͤume und erquickender Geruͤche; unſre Ueppigkeit hingegen, um deren willen wir alle Welttheile beunruhigen und berauben, was will, was ſuchet ſie? Neue und ſcharfe Gewuͤrze fuͤr eine geſtumpfte Zunge, fremde Fruͤchte und Speiſen, die wir in einem uͤber- fuͤllenden Gemiſch oft nicht einmal koſten, berauſchende Ge- traͤnke, die uns Ruhe und Geiſt rauben; was nur erdacht werden kann, unſre Natur aufregend zu zerſtoͤren, iſt das taͤg- liche große Ziel unſres Lebens. Dadurch unterſcheiden ſich Staͤnde: dadurch begluͤcken ſich Nationen — Begluͤcken? Weßhalb hungert der Arme und muß bei ſtumpfen Sinnen in Muͤhe und Schweis das elendeſte Leben fuͤhren? Damit ſeine Großen und Reichen ohne Geſchmack und vielleicht zu ewiger Nahrung ihrer Brutalitaͤt taͤglich auf feinere Art ihre Sinne ſtumpfen. „Der Europaͤer ißt alles”, ſagt der Jn- dier und ſein feinerer Geruch hat ſchon vor den Ausduͤnſtun- gen deſſelben einen Abſcheu. Er kann ihn nach ſeinen Be- griffen nicht anders als in die verworfne Caſte claßificiren, der, zur tiefſten Verachtung, alles zu eſſen erlaubt ward. Auch
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Specereien des Jndiers waͤhlen. Jndeſſen waͤre die Frage,
wem wir, Trotz unſrer Cultur in Worten, dem groͤßeſten Theil
nach naͤher ſeyn moͤchten, ob jenem oder dieſem? Der Jndier
ſetzt ſeine Gluͤckſeligkeit in leidenſchaftloſe Ruhe, in einen un-
zerſtoͤrbaren Genuß der Heiterkeit und Freude: er athmet
Wohlluſt: er ſchwimmt in einem Meer ſuͤßer Traͤume und
erquickender Geruͤche; unſre Ueppigkeit hingegen, um deren
willen wir alle Welttheile beunruhigen und berauben, was will,
was ſuchet ſie? Neue und ſcharfe Gewuͤrze fuͤr eine geſtumpfte
Zunge, fremde Fruͤchte und Speiſen, die wir in einem uͤber-
fuͤllenden Gemiſch oft nicht einmal koſten, berauſchende Ge-
traͤnke, die uns Ruhe und Geiſt rauben; was nur erdacht
werden kann, unſre Natur aufregend zu zerſtoͤren, iſt das taͤg-
liche große Ziel unſres Lebens. Dadurch unterſcheiden ſich
Staͤnde: dadurch begluͤcken ſich Nationen — Begluͤcken?
Weßhalb hungert der Arme und muß bei ſtumpfen Sinnen
in Muͤhe und Schweis das elendeſte Leben fuͤhren? Damit
ſeine Großen und Reichen ohne Geſchmack und vielleicht zu
ewiger Nahrung ihrer Brutalitaͤt taͤglich auf feinere Art ihre
Sinne ſtumpfen. „Der Europaͤer ißt alles”, ſagt der Jn-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/148>, abgerufen am 24.11.2024.
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