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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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sundheit und Jahrszeiten zu wirken scheine. Die Amerika-
ner, sagt er, die bei Ankunft der Europäer ein Alter von hun-
dert und mehrern Jahren zurückgelegt, erreichen jetzt oft kaum
das halbe Alter ihrer Väter; woran nicht blos der Menschen-
tödtende Branntwein und ihre veränderte Lebensweise, son-
dern wahrscheinlich auch der Verlust so vieler wohlriechenden
Kräuter und kräftigen Pflanzen Schuld sei, die jeden Morgen
und Abend einen Geruch gaben, als ob man sich in einem
Blumengarten fände. Der Winter sei damals zeitiger, käl-
ter, gesunder und beständiger gewesen; jetzt treffe der Früh-
ling später ein, und sei, wie die Jahrszeiten überhaupt, un-
beständiger und abwechselnder. "So erzählt Kalm und wie
local man die Nachricht einschränke, dörfte sie doch immer
zeigen, daß die Natur selbst im besten Werk, das Menschen
thun können, dem Anbau eines Landes, zu schnelle, zu ge-
waltsame Uebergänge nicht liebe. Die Schwäche der soge-
nannten cultivirten Amerikaner in Mexico, Peru, Paraguai,
Brasilien; sollte sie nicht unter andern auch daher kommen,
daß man ihnen Land und Lebensart verändert hat, ohne ihnen
eine Europäische Natur geben zu können oder zu wollen? Alle
Nationen, die in den Wäldern und nach der Weise ihrer Vä-
ter leben, sind muthig und stark, sie werden alt und grünen
wie ihre Bäume; auf dem gebaueten Lande, dem feuchten
Schatten entzogen, schwinden sie traurig dahin: Seele und

Muth

ſundheit und Jahrszeiten zu wirken ſcheine. Die Amerika-
ner, ſagt er, die bei Ankunft der Europaͤer ein Alter von hun-
dert und mehrern Jahren zuruͤckgelegt, erreichen jetzt oft kaum
das halbe Alter ihrer Vaͤter; woran nicht blos der Menſchen-
toͤdtende Branntwein und ihre veraͤnderte Lebensweiſe, ſon-
dern wahrſcheinlich auch der Verluſt ſo vieler wohlriechenden
Kraͤuter und kraͤftigen Pflanzen Schuld ſei, die jeden Morgen
und Abend einen Geruch gaben, als ob man ſich in einem
Blumengarten faͤnde. Der Winter ſei damals zeitiger, kaͤl-
ter, geſunder und beſtaͤndiger geweſen; jetzt treffe der Fruͤh-
ling ſpaͤter ein, und ſei, wie die Jahrszeiten uͤberhaupt, un-
beſtaͤndiger und abwechſelnder. ”So erzaͤhlt Kalm und wie
local man die Nachricht einſchraͤnke, doͤrfte ſie doch immer
zeigen, daß die Natur ſelbſt im beſten Werk, das Menſchen
thun koͤnnen, dem Anbau eines Landes, zu ſchnelle, zu ge-
waltſame Uebergaͤnge nicht liebe. Die Schwaͤche der ſoge-
nannten cultivirten Amerikaner in Mexico, Peru, Paraguai,
Braſilien; ſollte ſie nicht unter andern auch daher kommen,
daß man ihnen Land und Lebensart veraͤndert hat, ohne ihnen
eine Europaͤiſche Natur geben zu koͤnnen oder zu wollen? Alle
Nationen, die in den Waͤldern und nach der Weiſe ihrer Vaͤ-
ter leben, ſind muthig und ſtark, ſie werden alt und gruͤnen
wie ihre Baͤume; auf dem gebaueten Lande, dem feuchten
Schatten entzogen, ſchwinden ſie traurig dahin: Seele und

Muth
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[124/0136] ſundheit und Jahrszeiten zu wirken ſcheine. Die Amerika- ner, ſagt er, die bei Ankunft der Europaͤer ein Alter von hun- dert und mehrern Jahren zuruͤckgelegt, erreichen jetzt oft kaum das halbe Alter ihrer Vaͤter; woran nicht blos der Menſchen- toͤdtende Branntwein und ihre veraͤnderte Lebensweiſe, ſon- dern wahrſcheinlich auch der Verluſt ſo vieler wohlriechenden Kraͤuter und kraͤftigen Pflanzen Schuld ſei, die jeden Morgen und Abend einen Geruch gaben, als ob man ſich in einem Blumengarten faͤnde. Der Winter ſei damals zeitiger, kaͤl- ter, geſunder und beſtaͤndiger geweſen; jetzt treffe der Fruͤh- ling ſpaͤter ein, und ſei, wie die Jahrszeiten uͤberhaupt, un- beſtaͤndiger und abwechſelnder. ”So erzaͤhlt Kalm und wie local man die Nachricht einſchraͤnke, doͤrfte ſie doch immer zeigen, daß die Natur ſelbſt im beſten Werk, das Menſchen thun koͤnnen, dem Anbau eines Landes, zu ſchnelle, zu ge- waltſame Uebergaͤnge nicht liebe. Die Schwaͤche der ſoge- nannten cultivirten Amerikaner in Mexico, Peru, Paraguai, Braſilien; ſollte ſie nicht unter andern auch daher kommen, daß man ihnen Land und Lebensart veraͤndert hat, ohne ihnen eine Europaͤiſche Natur geben zu koͤnnen oder zu wollen? Alle Nationen, die in den Waͤldern und nach der Weiſe ihrer Vaͤ- ter leben, ſind muthig und ſtark, ſie werden alt und gruͤnen wie ihre Baͤume; auf dem gebaueten Lande, dem feuchten Schatten entzogen, ſchwinden ſie traurig dahin: Seele und Muth

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/136>, abgerufen am 24.11.2024.