gen sichtbar werde, habe er Materie der Verdauung in sich. So alle Adern, alle Gefäße: das Enthaltne war vor dem Enthaltenden, das Flüßige vor dem Vesten, der Geist vor dem Körper da, in welchen jener sich nur kleidet. Bemerkte er diesa); was würde er sagen, als, daß die unsichtbare Kraft nicht willkührlich bilde, sondern daß sie sich ihrer innern Natur nach gleichsam nur offenbare. Sie wird in einer ihr zuge- hörigen Masse sichtbar und muß, wie und woher es auch sei, den Typus ihrer Erscheinung in ihr selbst haben. Das neue Geschöpf ist nichts als eine wirklich gewordene Jdee der schaffenden Natur, die immer nur thätig denket.
Führe er fort und bemerkte, daß was diese Schöpfung befördert, mütterliche oder Sonnenwärme sei, daß das Ei der Mutter aber, aller vorhandenen Materie und Wärme unge- achtet ohne Belebung des Vaters keine lebendige Frucht gebe; was würde er muthmaassen, als: das Principium der Wärme könne mit dem Principium des Lebens, das es befördert, zwar verwandt seyn, eigentlich aber müsse in der Vereinigung zweier lebendigen Wesen die Ursache liegen, die diese organische Kraft in Wirksamkeit setzt, dem todten Chaos der Materie lebendige Form zu geben. So sind wir, so sind alle lebende Wesen ge- bildet: jedes nach der Art seiner Organisation; alle aber nach
dem
a) Wolfs theor. generat. S. 169. b. 180-216.
gen ſichtbar werde, habe er Materie der Verdauung in ſich. So alle Adern, alle Gefaͤße: das Enthaltne war vor dem Enthaltenden, das Fluͤßige vor dem Veſten, der Geiſt vor dem Koͤrper da, in welchen jener ſich nur kleidet. Bemerkte er diesa); was wuͤrde er ſagen, als, daß die unſichtbare Kraft nicht willkuͤhrlich bilde, ſondern daß ſie ſich ihrer innern Natur nach gleichſam nur offenbare. Sie wird in einer ihr zuge- hoͤrigen Maſſe ſichtbar und muß, wie und woher es auch ſei, den Typus ihrer Erſcheinung in ihr ſelbſt haben. Das neue Geſchoͤpf iſt nichts als eine wirklich gewordene Jdee der ſchaffenden Natur, die immer nur thaͤtig denket.
Fuͤhre er fort und bemerkte, daß was dieſe Schoͤpfung befoͤrdert, muͤtterliche oder Sonnenwaͤrme ſei, daß das Ei der Mutter aber, aller vorhandenen Materie und Waͤrme unge- achtet ohne Belebung des Vaters keine lebendige Frucht gebe; was wuͤrde er muthmaaſſen, als: das Principium der Waͤrme koͤnne mit dem Principium des Lebens, das es befoͤrdert, zwar verwandt ſeyn, eigentlich aber muͤſſe in der Vereinigung zweier lebendigen Weſen die Urſache liegen, die dieſe organiſche Kraft in Wirkſamkeit ſetzt, dem todten Chaos der Materie lebendige Form zu geben. So ſind wir, ſo ſind alle lebende Weſen ge- bildet: jedes nach der Art ſeiner Organiſation; alle aber nach
dem
a) Wolfs theor. generat. S. 169. b. 180‒216.
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gen ſichtbar werde, habe er Materie der Verdauung in ſich.
So alle Adern, alle Gefaͤße: das Enthaltne war vor dem
Enthaltenden, das Fluͤßige vor dem Veſten, der Geiſt vor
dem Koͤrper da, in welchen jener ſich nur kleidet. Bemerkte
er dies a); was wuͤrde er ſagen, als, daß die unſichtbare Kraft
nicht willkuͤhrlich bilde, ſondern daß ſie ſich ihrer innern Natur
nach gleichſam nur offenbare. Sie wird in einer ihr zuge-
hoͤrigen Maſſe ſichtbar und muß, wie und woher es auch ſei,
den Typus ihrer Erſcheinung in ihr ſelbſt haben. Das
neue Geſchoͤpf iſt nichts als eine wirklich gewordene Jdee der
ſchaffenden Natur, die immer nur thaͤtig denket.
Fuͤhre er fort und bemerkte, daß was dieſe Schoͤpfung
befoͤrdert, muͤtterliche oder Sonnenwaͤrme ſei, daß das Ei der
Mutter aber, aller vorhandenen Materie und Waͤrme unge-
achtet ohne Belebung des Vaters keine lebendige Frucht gebe;
was wuͤrde er muthmaaſſen, als: das Principium der Waͤrme
koͤnne mit dem Principium des Lebens, das es befoͤrdert, zwar
verwandt ſeyn, eigentlich aber muͤſſe in der Vereinigung zweier
lebendigen Weſen die Urſache liegen, die dieſe organiſche Kraft
in Wirkſamkeit ſetzt, dem todten Chaos der Materie lebendige
Form zu geben. So ſind wir, ſo ſind alle lebende Weſen ge-
bildet: jedes nach der Art ſeiner Organiſation; alle aber nach
dem
a) Wolfs theor. generat. S. 169. b. 180‒216.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/118>, abgerufen am 24.11.2024.
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