wenigstens dem Bau seiner Zähne nach kein Fleischfressen- des Thier seyn. Ein Theil der Erdnationen lebt großen- theils noch von Milch und Gewächsen; in früheren Zeiten haben mehrere davon gelebet: und welchen Reichthum hat ihnen auch die Natur im Mark, im Saft, in den Früchten, ja gar in den Rinden und Zweigen ihrer Erdgewächse be- schieden, wo oft Ein Baum eine ganze Familie nähret! Wunderbar ist jedem Erdstrich das Seine gegeben, nicht nur in dem was es gewährt; sondern auch in dem, was es an sich ziehet und wegnimmt. Denn da die Pflanzen von dem Brennbaren der Luft, mithin zum Theil von denen für uns schädlichsten Dünsten leben: so organisiret sich auch ihr Ge- gengift nach der Eigenheit eines jeden Landes und sie berei- ten für den immer zur Fäulniß gehenden animalischen Kör- per überall die Arzneien, die eben für die Krankheiten dieses Erdstrichs sind. Der Mensch wird sich also so wenig zu be- schweren haben, daß es auch giftige Pflanzen in der Natur gebe; da diese eigentlich nur abgeleitete Kanäle des Gifts, also die wohlthätigsten zur Gesundheit der ganzen Gegend sind und in seinen Händen, zum Theil schon in den Händen der Natur, die wirksamsten Gegengifte werden. Selten hat man eine Gewächs- oder Thierart dieses und jenes Erdstrichs ausgerottet, ohne nicht bald die offenbarsten Nachtheile für die Bewohnbarkeit des Ganzen zu erfahren; und hat die
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wenigſtens dem Bau ſeiner Zaͤhne nach kein Fleiſchfreſſen- des Thier ſeyn. Ein Theil der Erdnationen lebt großen- theils noch von Milch und Gewaͤchſen; in fruͤheren Zeiten haben mehrere davon gelebet: und welchen Reichthum hat ihnen auch die Natur im Mark, im Saft, in den Fruͤchten, ja gar in den Rinden und Zweigen ihrer Erdgewaͤchſe be- ſchieden, wo oft Ein Baum eine ganze Familie naͤhret! Wunderbar iſt jedem Erdſtrich das Seine gegeben, nicht nur in dem was es gewaͤhrt; ſondern auch in dem, was es an ſich ziehet und wegnimmt. Denn da die Pflanzen von dem Brennbaren der Luft, mithin zum Theil von denen fuͤr uns ſchaͤdlichſten Duͤnſten leben: ſo organiſiret ſich auch ihr Ge- gengift nach der Eigenheit eines jeden Landes und ſie berei- ten fuͤr den immer zur Faͤulniß gehenden animaliſchen Koͤr- per uͤberall die Arzneien, die eben fuͤr die Krankheiten dieſes Erdſtrichs ſind. Der Menſch wird ſich alſo ſo wenig zu be- ſchweren haben, daß es auch giftige Pflanzen in der Natur gebe; da dieſe eigentlich nur abgeleitete Kanaͤle des Gifts, alſo die wohlthaͤtigſten zur Geſundheit der ganzen Gegend ſind und in ſeinen Haͤnden, zum Theil ſchon in den Haͤnden der Natur, die wirkſamſten Gegengifte werden. Selten hat man eine Gewaͤchs- oder Thierart dieſes und jenes Erdſtrichs ausgerottet, ohne nicht bald die offenbarſten Nachtheile fuͤr die Bewohnbarkeit des Ganzen zu erfahren; und hat die
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wenigſtens dem Bau ſeiner Zaͤhne nach kein Fleiſchfreſſen-
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theils noch von Milch und Gewaͤchſen; in fruͤheren Zeiten
haben mehrere davon gelebet: und welchen Reichthum hat
ihnen auch die Natur im Mark, im Saft, in den Fruͤchten,
ja gar in den Rinden und Zweigen ihrer Erdgewaͤchſe be-
ſchieden, wo oft Ein Baum eine ganze Familie naͤhret!
Wunderbar iſt jedem Erdſtrich das Seine gegeben, nicht nur
in dem was es gewaͤhrt; ſondern auch in dem, was es an
ſich ziehet und wegnimmt. Denn da die Pflanzen von dem
Brennbaren der Luft, mithin zum Theil von denen fuͤr uns
ſchaͤdlichſten Duͤnſten leben: ſo organiſiret ſich auch ihr Ge-
gengift nach der Eigenheit eines jeden Landes und ſie berei-
ten fuͤr den immer zur Faͤulniß gehenden animaliſchen Koͤr-
per uͤberall die Arzneien, die eben fuͤr die Krankheiten dieſes
Erdſtrichs ſind. Der Menſch wird ſich alſo ſo wenig zu be-
ſchweren haben, daß es auch giftige Pflanzen in der Natur
gebe; da dieſe eigentlich nur abgeleitete Kanaͤle des Gifts,
alſo die wohlthaͤtigſten zur Geſundheit der ganzen Gegend
ſind und in ſeinen Haͤnden, zum Theil ſchon in den Haͤnden
der Natur, die wirkſamſten Gegengifte werden. Selten hat
man eine Gewaͤchs- oder Thierart dieſes und jenes Erdſtrichs
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/99>, abgerufen am 28.11.2024.
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