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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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leben. So lange die junge Pflanze keine Blume trägt, wi-
dersteht sie der Kälte des Winters und die zu frühe tragen,
verderben zuerst. Die Musa hat oft hundert Jahr erlebt:
sobald sie aber einmal die Blüte entfaltet hat, so wird keine
Erfahrung, keine Kunst hindern, daß nicht der prächtige
Stamm im folgenden Jahr den Untergang leide. Die
Schirmpalme wächst 35 Jahr zu einer Höhe von 70 Schu-
hen, hierauf in 4 Monaten noch 30 Schuh; nun blühet sie,
bringt Früchte und stirbt in demselben Jahr. Das ist der
Gang der Natur bei Entwicklung der Wesen aus einander;
der Strom geht fort, indeß sich eine Welle in der andern
verlieret.




Bei der Verbreitung und Ausartnng der Pflanzen ist
eine Aehnlichkeit kenntlich, die sich auch auf die Geschöpfe
über ihnen anwenden läßt und zu Aussichten und Gesetzen
der Natur vorbereitet. Jede Pflanze fodert ihr Clima, zu
dem nicht die Beschaffenheit der Erde und des Bodens al-
lein, sondern auch die Höhe des Erdstrichs, die Eigenheit
der Luft, des Wassers, der Wärme gehöret. Unter der Erde
lag alles noch durch einander und obwohl auch hier jede
Stein-Krystall- und Metallart ihre Beschaffenheit von dem
Lande nimmt, in dem sie wuchs und hiernach die eigensten

Ver-

leben. So lange die junge Pflanze keine Blume traͤgt, wi-
derſteht ſie der Kaͤlte des Winters und die zu fruͤhe tragen,
verderben zuerſt. Die Muſa hat oft hundert Jahr erlebt:
ſobald ſie aber einmal die Bluͤte entfaltet hat, ſo wird keine
Erfahrung, keine Kunſt hindern, daß nicht der praͤchtige
Stamm im folgenden Jahr den Untergang leide. Die
Schirmpalme waͤchſt 35 Jahr zu einer Hoͤhe von 70 Schu-
hen, hierauf in 4 Monaten noch 30 Schuh; nun bluͤhet ſie,
bringt Fruͤchte und ſtirbt in demſelben Jahr. Das iſt der
Gang der Natur bei Entwicklung der Weſen aus einander;
der Strom geht fort, indeß ſich eine Welle in der andern
verlieret.




Bei der Verbreitung und Ausartnng der Pflanzen iſt
eine Aehnlichkeit kenntlich, die ſich auch auf die Geſchoͤpfe
uͤber ihnen anwenden laͤßt und zu Ausſichten und Geſetzen
der Natur vorbereitet. Jede Pflanze fodert ihr Clima, zu
dem nicht die Beſchaffenheit der Erde und des Bodens al-
lein, ſondern auch die Hoͤhe des Erdſtrichs, die Eigenheit
der Luft, des Waſſers, der Waͤrme gehoͤret. Unter der Erde
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Lande nimmt, in dem ſie wuchs und hiernach die eigenſten

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[71/0093] leben. So lange die junge Pflanze keine Blume traͤgt, wi- derſteht ſie der Kaͤlte des Winters und die zu fruͤhe tragen, verderben zuerſt. Die Muſa hat oft hundert Jahr erlebt: ſobald ſie aber einmal die Bluͤte entfaltet hat, ſo wird keine Erfahrung, keine Kunſt hindern, daß nicht der praͤchtige Stamm im folgenden Jahr den Untergang leide. Die Schirmpalme waͤchſt 35 Jahr zu einer Hoͤhe von 70 Schu- hen, hierauf in 4 Monaten noch 30 Schuh; nun bluͤhet ſie, bringt Fruͤchte und ſtirbt in demſelben Jahr. Das iſt der Gang der Natur bei Entwicklung der Weſen aus einander; der Strom geht fort, indeß ſich eine Welle in der andern verlieret. Bei der Verbreitung und Ausartnng der Pflanzen iſt eine Aehnlichkeit kenntlich, die ſich auch auf die Geſchoͤpfe uͤber ihnen anwenden laͤßt und zu Ausſichten und Geſetzen der Natur vorbereitet. Jede Pflanze fodert ihr Clima, zu dem nicht die Beſchaffenheit der Erde und des Bodens al- lein, ſondern auch die Hoͤhe des Erdſtrichs, die Eigenheit der Luft, des Waſſers, der Waͤrme gehoͤret. Unter der Erde lag alles noch durch einander und obwohl auch hier jede Stein-Kryſtall- und Metallart ihre Beſchaffenheit von dem Lande nimmt, in dem ſie wuchs und hiernach die eigenſten Ver-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/93>, abgerufen am 22.11.2024.