Die drei andern Welttheile geben einen zusammenge- setztern Anblick, weil ihr großer Umfang im Grunde nur Ein Welttheil ist; indessen ists auch bei ihnen ohne Mühe kennbar, daß der Erd-Rücken Asiens der Stamm der Gebürge sei, die sich über diesen Welttheil und über Europa[,] vielleicht auch über Afrika, wenigstens über seinen obern Theil verbrei- ten. Der Atlas ist eine Fortstreckung der Asiatischen Ge- bürge, die in der Mitte des Landes nur eine größere Höhe gewinnen, und sich durch die Bergreihen am Nil wahrschein- lich mit den Mondsgebürgen binden. Ob diese Mondsge- bürge der Höhe und Breite nach ein wirklicher Erd-Rücken seyn? muß die Zukunft lehren. Die Größe des Landes und einige zerstückte Nachrichten sollten es zu vermuthen geben; indessen scheint eben auch die proportionirte Wenigkeit und Kleinheit der Flüsse dieses Erdstrichs die uns bekannt sind, noch nicht eben dafür zu entscheiden, daß seine Höhe ein wah- rer Erdgürtel sei, wie der Asiatische Ural oder die Amerika- nischen Cordilleras. Gnug, auch in diesen Welttheilen ist offenbar das Land den Gebürgen angebildet. Alle seine Strecken laufen parallel den Aesten der Berge; wo diese sich breiten und verästigen, breiten sich auch die Länder. Dies gilt bis auf Vorgebürge, Jnseln und Halbinseln: Das Land streckt seine Arme und Glieder, wie sich das Geripp der Gebürge streckt; es ist also nur eine mannichfaltige in man-
cherlei
Die drei andern Welttheile geben einen zuſammenge- ſetztern Anblick, weil ihr großer Umfang im Grunde nur Ein Welttheil iſt; indeſſen iſts auch bei ihnen ohne Muͤhe kennbar, daß der Erd-Ruͤcken Aſiens der Stamm der Gebuͤrge ſei, die ſich uͤber dieſen Welttheil und uͤber Europa[,] vielleicht auch uͤber Afrika, wenigſtens uͤber ſeinen obern Theil verbrei- ten. Der Atlas iſt eine Fortſtreckung der Aſiatiſchen Ge- buͤrge, die in der Mitte des Landes nur eine groͤßere Hoͤhe gewinnen, und ſich durch die Bergreihen am Nil wahrſchein- lich mit den Mondsgebuͤrgen binden. Ob dieſe Mondsge- buͤrge der Hoͤhe und Breite nach ein wirklicher Erd-Ruͤcken ſeyn? muß die Zukunft lehren. Die Groͤße des Landes und einige zerſtuͤckte Nachrichten ſollten es zu vermuthen geben; indeſſen ſcheint eben auch die proportionirte Wenigkeit und Kleinheit der Fluͤſſe dieſes Erdſtrichs die uns bekannt ſind, noch nicht eben dafuͤr zu entſcheiden, daß ſeine Hoͤhe ein wah- rer Erdguͤrtel ſei, wie der Aſiatiſche Ural oder die Amerika- niſchen Cordilleras. Gnug, auch in dieſen Welttheilen iſt offenbar das Land den Gebuͤrgen angebildet. Alle ſeine Strecken laufen parallel den Aeſten der Berge; wo dieſe ſich breiten und veraͤſtigen, breiten ſich auch die Laͤnder. Dies gilt bis auf Vorgebuͤrge, Jnſeln und Halbinſeln: Das Land ſtreckt ſeine Arme und Glieder, wie ſich das Geripp der Gebuͤrge ſtreckt; es iſt alſo nur eine mannichfaltige in man-
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Die drei andern Welttheile geben einen zuſammenge-
ſetztern Anblick, weil ihr großer Umfang im Grunde nur
Ein Welttheil iſt; indeſſen iſts auch bei ihnen ohne Muͤhe
kennbar, daß der Erd-Ruͤcken Aſiens der Stamm der Gebuͤrge
ſei, die ſich uͤber dieſen Welttheil und uͤber Europa, vielleicht
auch uͤber Afrika, wenigſtens uͤber ſeinen obern Theil verbrei-
ten. Der Atlas iſt eine Fortſtreckung der Aſiatiſchen Ge-
buͤrge, die in der Mitte des Landes nur eine groͤßere Hoͤhe
gewinnen, und ſich durch die Bergreihen am Nil wahrſchein-
lich mit den Mondsgebuͤrgen binden. Ob dieſe Mondsge-
buͤrge der Hoͤhe und Breite nach ein wirklicher Erd-Ruͤcken
ſeyn? muß die Zukunft lehren. Die Groͤße des Landes und
einige zerſtuͤckte Nachrichten ſollten es zu vermuthen geben;
indeſſen ſcheint eben auch die proportionirte Wenigkeit und
Kleinheit der Fluͤſſe dieſes Erdſtrichs die uns bekannt ſind,
noch nicht eben dafuͤr zu entſcheiden, daß ſeine Hoͤhe ein wah-
rer Erdguͤrtel ſei, wie der Aſiatiſche Ural oder die Amerika-
niſchen Cordilleras. Gnug, auch in dieſen Welttheilen iſt
offenbar das Land den Gebuͤrgen angebildet. Alle ſeine
Strecken laufen parallel den Aeſten der Berge; wo dieſe
ſich breiten und veraͤſtigen, breiten ſich auch die Laͤnder.
Dies gilt bis auf Vorgebuͤrge, Jnſeln und Halbinſeln: Das
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/58>, abgerufen am 24.11.2024.
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