sation stehen, die auf unsrer Erde fortkommen konnte und sollte. Zu beiden Seiten hinaus giebt es wahrscheinlich die größesten Divergenzen. Lasset uns also, so lange wir hier leben, auf nichts, als auf den mittelmäßigen Erdeverstand und auf die noch viel zweideutigere Menschentugend rechnen. Wenn wir mit Augen des Merkurs in die Sonne sehen und auf seinen Flügeln um sie fliegen könnten; wenn uns mit der Raschheit des Saturns und Jupiters um sich selbst, zu- gleich ihre Langsamkeit, ihr weiter großer Umfang gegeben wäre, oder wenn wir auf dem Haar der Kometen, der grös- sesten Wärme und Kälte gleich empfängig, durch die weiten Regionen des Himmels schiffen könnten: denn dörften wir von einem andern, weitern oder engern, als dem proportio- nirten Mittel-Gleise menschlicher Gedanken und Kräfte re- den. Nun aber, wo und wie wir sind, wollen wir diesem milde-proportionirten Gleise treu bleiben; er ist unserer Le- bensdauer wahrscheinlich gerade gerecht.
Es ist eine Aussicht, die auch die Seele des trägsten Menschen erwecken kann, wenn wir uns einst auf irgend eine Weise im allgemeinen Genuß dieser uns jetzt versagten Reichthümer der bildenden Natur gedenken: wenn wir uns vorstellen, daß vielleicht, nachdem wir zur Summe der Or- ganisation unsres Planeten gelangt sind, ein Wandelgang
auf
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ſation ſtehen, die auf unſrer Erde fortkommen konnte und ſollte. Zu beiden Seiten hinaus giebt es wahrſcheinlich die groͤßeſten Divergenzen. Laſſet uns alſo, ſo lange wir hier leben, auf nichts, als auf den mittelmaͤßigen Erdeverſtand und auf die noch viel zweideutigere Menſchentugend rechnen. Wenn wir mit Augen des Merkurs in die Sonne ſehen und auf ſeinen Fluͤgeln um ſie fliegen koͤnnten; wenn uns mit der Raſchheit des Saturns und Jupiters um ſich ſelbſt, zu- gleich ihre Langſamkeit, ihr weiter großer Umfang gegeben waͤre, oder wenn wir auf dem Haar der Kometen, der groͤſ- ſeſten Waͤrme und Kaͤlte gleich empfaͤngig, durch die weiten Regionen des Himmels ſchiffen koͤnnten: denn doͤrften wir von einem andern, weitern oder engern, als dem proportio- nirten Mittel-Gleiſe menſchlicher Gedanken und Kraͤfte re- den. Nun aber, wo und wie wir ſind, wollen wir dieſem milde-proportionirten Gleiſe treu bleiben; er iſt unſerer Le- bensdauer wahrſcheinlich gerade gerecht.
Es iſt eine Ausſicht, die auch die Seele des traͤgſten Menſchen erwecken kann, wenn wir uns einſt auf irgend eine Weiſe im allgemeinen Genuß dieſer uns jetzt verſagten Reichthuͤmer der bildenden Natur gedenken: wenn wir uns vorſtellen, daß vielleicht, nachdem wir zur Summe der Or- ganiſation unſres Planeten gelangt ſind, ein Wandelgang
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ſation ſtehen, die auf unſrer Erde fortkommen konnte und
ſollte. Zu beiden Seiten hinaus giebt es wahrſcheinlich die
groͤßeſten Divergenzen. Laſſet uns alſo, ſo lange wir hier
leben, auf nichts, als auf den mittelmaͤßigen Erdeverſtand
und auf die noch viel zweideutigere Menſchentugend rechnen.
Wenn wir mit Augen des Merkurs in die Sonne ſehen und
auf ſeinen Fluͤgeln um ſie fliegen koͤnnten; wenn uns mit
der Raſchheit des Saturns und Jupiters um ſich ſelbſt, zu-
gleich ihre Langſamkeit, ihr weiter großer Umfang gegeben
waͤre, oder wenn wir auf dem Haar der Kometen, der groͤſ-
ſeſten Waͤrme und Kaͤlte gleich empfaͤngig, durch die weiten
Regionen des Himmels ſchiffen koͤnnten: denn doͤrften wir
von einem andern, weitern oder engern, als dem proportio-
nirten Mittel-Gleiſe menſchlicher Gedanken und Kraͤfte re-
den. Nun aber, wo und wie wir ſind, wollen wir dieſem
milde-proportionirten Gleiſe treu bleiben; er iſt unſerer Le-
bensdauer wahrſcheinlich gerade gerecht.
Es iſt eine Ausſicht, die auch die Seele des traͤgſten
Menſchen erwecken kann, wenn wir uns einſt auf irgend
eine Weiſe im allgemeinen Genuß dieſer uns jetzt verſagten
Reichthuͤmer der bildenden Natur gedenken: wenn wir uns
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/35>, abgerufen am 23.11.2024.
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