nen Gesetzen auch im tiefsten Schlaf fort, von dessen Träu- men wir keine Erinnerung haben, wenn nicht ein plötzliches Erwecken uns davon überzeuget. Mehrere Personen haben bemerkt, daß ihre Seele bei ruhigen Träumen sogar dieselbe Jdeenreihe, unterschieden vom wachenden Zustande, unver- rückt fortsetze und immer in Einer, meistens jugendlichen, lebhaften und schönern Welt wandle. Die Empfindungen des Traums sind uns lebhafter, seine Affekten feuriger, die Verbindungen der Gedanken und Möglichkeiten in ihm wer- den leichter, unser Blick ist heiterer, das Licht das uns umglänzt, ist schöner. Wenn wir gesund schlafen, wird unser Gang oft ein Flug, unsre Gestalt ist größer, unser Entschluß kräf- tiger, unsre Thätigkeit freier. Und obwohl dies alles vom Körper abhängt, weil jeder kleinste Zustand unsrer Seele nothwendig ihm harmonisch seyn muß, so lange ihre Kräfte ihm so innig einverleibt wirken; so zeigt doch die ganze ge- wiß sonderbare Erfahrung des Schlafes und Traums, die uns ins größte Erstaunen setzen würde, wenn wir nicht daran gewöhnt wären, daß nicht jeder Theil unsers Körpers auf gleiche Art zu uns gehöre, ja daß gewisse Organe unsrer Ma- schine abgespannet werden können und die oberste Kraft wirke aus bloßen Erinnerungen idealischer, lebhafter, freier. Da nun alle Ursachen, die uns den Schlaf bringen, und alle sei- ne körperliche Symptome nicht blos einer Redart nach son-
dern
nen Geſetzen auch im tiefſten Schlaf fort, von deſſen Traͤu- men wir keine Erinnerung haben, wenn nicht ein ploͤtzliches Erwecken uns davon uͤberzeuget. Mehrere Perſonen haben bemerkt, daß ihre Seele bei ruhigen Traͤumen ſogar dieſelbe Jdeenreihe, unterſchieden vom wachenden Zuſtande, unver- ruͤckt fortſetze und immer in Einer, meiſtens jugendlichen, lebhaften und ſchoͤnern Welt wandle. Die Empfindungen des Traums ſind uns lebhafter, ſeine Affekten feuriger, die Verbindungen der Gedanken und Moͤglichkeiten in ihm wer- den leichter, unſer Blick iſt heiterer, das Licht das uns umglaͤnzt, iſt ſchoͤner. Wenn wir geſund ſchlafen, wird unſer Gang oft ein Flug, unſre Geſtalt iſt groͤßer, unſer Entſchluß kraͤf- tiger, unſre Thaͤtigkeit freier. Und obwohl dies alles vom Koͤrper abhaͤngt, weil jeder kleinſte Zuſtand unſrer Seele nothwendig ihm harmoniſch ſeyn muß, ſo lange ihre Kraͤfte ihm ſo innig einverleibt wirken; ſo zeigt doch die ganze ge- wiß ſonderbare Erfahrung des Schlafes und Traums, die uns ins groͤßte Erſtaunen ſetzen wuͤrde, wenn wir nicht daran gewoͤhnt waͤren, daß nicht jeder Theil unſers Koͤrpers auf gleiche Art zu uns gehoͤre, ja daß gewiſſe Organe unſrer Ma- ſchine abgeſpannet werden koͤnnen und die oberſte Kraft wirke aus bloßen Erinnerungen idealiſcher, lebhafter, freier. Da nun alle Urſachen, die uns den Schlaf bringen, und alle ſei- ne koͤrperliche Symptome nicht blos einer Redart nach ſon-
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[298[278]/0300]
nen Geſetzen auch im tiefſten Schlaf fort, von deſſen Traͤu-
men wir keine Erinnerung haben, wenn nicht ein ploͤtzliches
Erwecken uns davon uͤberzeuget. Mehrere Perſonen haben
bemerkt, daß ihre Seele bei ruhigen Traͤumen ſogar dieſelbe
Jdeenreihe, unterſchieden vom wachenden Zuſtande, unver-
ruͤckt fortſetze und immer in Einer, meiſtens jugendlichen,
lebhaften und ſchoͤnern Welt wandle. Die Empfindungen
des Traums ſind uns lebhafter, ſeine Affekten feuriger, die
Verbindungen der Gedanken und Moͤglichkeiten in ihm wer-
den leichter, unſer Blick iſt heiterer, das Licht das uns umglaͤnzt,
iſt ſchoͤner. Wenn wir geſund ſchlafen, wird unſer Gang
oft ein Flug, unſre Geſtalt iſt groͤßer, unſer Entſchluß kraͤf-
tiger, unſre Thaͤtigkeit freier. Und obwohl dies alles vom
Koͤrper abhaͤngt, weil jeder kleinſte Zuſtand unſrer Seele
nothwendig ihm harmoniſch ſeyn muß, ſo lange ihre Kraͤfte
ihm ſo innig einverleibt wirken; ſo zeigt doch die ganze ge-
wiß ſonderbare Erfahrung des Schlafes und Traums, die
uns ins groͤßte Erſtaunen ſetzen wuͤrde, wenn wir nicht daran
gewoͤhnt waͤren, daß nicht jeder Theil unſers Koͤrpers auf
gleiche Art zu uns gehoͤre, ja daß gewiſſe Organe unſrer Ma-
ſchine abgeſpannet werden koͤnnen und die oberſte Kraft wirke
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 298[278]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/300>, abgerufen am 23.11.2024.
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