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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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sprach und handelte sie unter uns, jedem Zeitraum angemes-
sen, menschlich. Nichts hat unsre Gestalt und Natur so
sehr veredelt, als die Religion; blos und allein weil sie sie
auf ihre reinste Bestimmung zurückführte.

Daß mit der Religion also auch Hofnung und Glau-
be der Unsterblichkeit verbunden war und durch sie unter den
Menschen gegründet wurde, ist abermals Natur der Sache,
vom Begriff Gottes und der Menschheit beinah unzertrenn-
lich. Wie? wir sind Kinder des Ewigen, den wir hier nach-
ahmend erkennen und lieben lernen sollen, zu dessen Erkennt-
niß wir durch alles erweckt, zu dessen Nachahmung wir durch
Liebe und Leid gezwungen werden und wir erkennen ihn noch
so dunkel: wir ahmen ihm so schwach und kindisch nach; ja
wir sehen die Gründe, warum wir ihn in dieser Organisa-
tion nicht anders erkennen und nachahmen können. Und es
sollte für uns keine andre möglich? für unsre gewisseste be-
ste Anlage sollte kein Fortgang wirklich seyn? Denn eben
diese unsre edelsten Kräfte sind so wenig für diese Welt: sie
streben über dieselbe hinüber, weil hier alles der Nothdurft
dienet. Und doch fühlen wir unsern edlern Theil beständig
im Kampf mit dieser Nothdurft: gerade das, was der Zweck
der Organisation im Menschen scheinet, findet auf der Erde
zwar seine Geburts- aber nichts weniger als seine Vollen-

dungs-

ſprach und handelte ſie unter uns, jedem Zeitraum angemeſ-
ſen, menſchlich. Nichts hat unſre Geſtalt und Natur ſo
ſehr veredelt, als die Religion; blos und allein weil ſie ſie
auf ihre reinſte Beſtimmung zuruͤckfuͤhrte.

Daß mit der Religion alſo auch Hofnung und Glau-
be der Unſterblichkeit verbunden war und durch ſie unter den
Menſchen gegruͤndet wurde, iſt abermals Natur der Sache,
vom Begriff Gottes und der Menſchheit beinah unzertrenn-
lich. Wie? wir ſind Kinder des Ewigen, den wir hier nach-
ahmend erkennen und lieben lernen ſollen, zu deſſen Erkennt-
niß wir durch alles erweckt, zu deſſen Nachahmung wir durch
Liebe und Leid gezwungen werden und wir erkennen ihn noch
ſo dunkel: wir ahmen ihm ſo ſchwach und kindiſch nach; ja
wir ſehen die Gruͤnde, warum wir ihn in dieſer Organiſa-
tion nicht anders erkennen und nachahmen koͤnnen. Und es
ſollte fuͤr uns keine andre moͤglich? fuͤr unſre gewiſſeſte be-
ſte Anlage ſollte kein Fortgang wirklich ſeyn? Denn eben
dieſe unſre edelſten Kraͤfte ſind ſo wenig fuͤr dieſe Welt: ſie
ſtreben uͤber dieſelbe hinuͤber, weil hier alles der Nothdurft
dienet. Und doch fuͤhlen wir unſern edlern Theil beſtaͤndig
im Kampf mit dieſer Nothdurft: gerade das, was der Zweck
der Organiſation im Menſchen ſcheinet, findet auf der Erde
zwar ſeine Geburts- aber nichts weniger als ſeine Vollen-

dungs-
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[259[239]/0261] ſprach und handelte ſie unter uns, jedem Zeitraum angemeſ- ſen, menſchlich. Nichts hat unſre Geſtalt und Natur ſo ſehr veredelt, als die Religion; blos und allein weil ſie ſie auf ihre reinſte Beſtimmung zuruͤckfuͤhrte. Daß mit der Religion alſo auch Hofnung und Glau- be der Unſterblichkeit verbunden war und durch ſie unter den Menſchen gegruͤndet wurde, iſt abermals Natur der Sache, vom Begriff Gottes und der Menſchheit beinah unzertrenn- lich. Wie? wir ſind Kinder des Ewigen, den wir hier nach- ahmend erkennen und lieben lernen ſollen, zu deſſen Erkennt- niß wir durch alles erweckt, zu deſſen Nachahmung wir durch Liebe und Leid gezwungen werden und wir erkennen ihn noch ſo dunkel: wir ahmen ihm ſo ſchwach und kindiſch nach; ja wir ſehen die Gruͤnde, warum wir ihn in dieſer Organiſa- tion nicht anders erkennen und nachahmen koͤnnen. Und es ſollte fuͤr uns keine andre moͤglich? fuͤr unſre gewiſſeſte be- ſte Anlage ſollte kein Fortgang wirklich ſeyn? Denn eben dieſe unſre edelſten Kraͤfte ſind ſo wenig fuͤr dieſe Welt: ſie ſtreben uͤber dieſelbe hinuͤber, weil hier alles der Nothdurft dienet. Und doch fuͤhlen wir unſern edlern Theil beſtaͤndig im Kampf mit dieſer Nothdurft: gerade das, was der Zweck der Organiſation im Menſchen ſcheinet, findet auf der Erde zwar ſeine Geburts- aber nichts weniger als ſeine Vollen- dungs-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 259[239]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/261>, abgerufen am 23.11.2024.