Nun ward mit diesem zarteren Bau und mit allem was daraus folgte, auch freilich einer Reihe Krankheiten die Thür geöfnet, von denen das Thier nichts weiß und die Moskati*) beredt herzählet. Das Blut, das seinen Kreis- lauf in einer aufrechten Maschine verrichtet, das Herz, das in eine schiefe Lage gedrängt ist, die Eingeweide, die in ei- nem stehenden Behältniß ihr Werk treiben; allerdings sind diese Theile bei uns mehreren Gefahren der Zerrüttung aus- gesetzt als in einem thierischen Körper. Jnsonderheit, scheint es, muß das weibliche Geschlecht seine größere Zartheit auch theurer als wir erkaufen -- -- Jndessen ist auch hierinn die Wohlthat der Natur tausendfach ersetzend und mildernd: denn unsre Gesundheit, unser Wohlseyn, alle Empfindungen und Reize unsres Wesens sind geistiger und feiner. Kein Thier genießt einen einzigen Augenblick menschlicher Gesund- heit und Freude: es kostet keinen Tropfen des Nektarstroms, den der Mensch trinkt; ja auch blos körperlich betrachtet. sind seine Krankheiten zwar weniger an der Zahl, weil sein Körperbau gröber ist, aber dafür desto fortwirkender und vester. Sein Zellengewebe, seine Nervenhäute, seine Arte- rien, Knochen, sein Gehirn sogar ist härter als das unsre; daher auch alle Landthiere rings um den Menschen (vielleicht
den
*) Vom körperlichen wesentlichen Unterschiede der Thiere und Men- schen, Göttingen 1771.
Nun ward mit dieſem zarteren Bau und mit allem was daraus folgte, auch freilich einer Reihe Krankheiten die Thuͤr geoͤfnet, von denen das Thier nichts weiß und die Moſkati*) beredt herzaͤhlet. Das Blut, das ſeinen Kreis- lauf in einer aufrechten Maſchine verrichtet, das Herz, das in eine ſchiefe Lage gedraͤngt iſt, die Eingeweide, die in ei- nem ſtehenden Behaͤltniß ihr Werk treiben; allerdings ſind dieſe Theile bei uns mehreren Gefahren der Zerruͤttung aus- geſetzt als in einem thieriſchen Koͤrper. Jnſonderheit, ſcheint es, muß das weibliche Geſchlecht ſeine groͤßere Zartheit auch theurer als wir erkaufen — — Jndeſſen iſt auch hierinn die Wohlthat der Natur tauſendfach erſetzend und mildernd: denn unſre Geſundheit, unſer Wohlſeyn, alle Empfindungen und Reize unſres Weſens ſind geiſtiger und feiner. Kein Thier genießt einen einzigen Augenblick menſchlicher Geſund- heit und Freude: es koſtet keinen Tropfen des Nektarſtroms, den der Menſch trinkt; ja auch blos koͤrperlich betrachtet. ſind ſeine Krankheiten zwar weniger an der Zahl, weil ſein Koͤrperbau groͤber iſt, aber dafuͤr deſto fortwirkender und veſter. Sein Zellengewebe, ſeine Nervenhaͤute, ſeine Arte- rien, Knochen, ſein Gehirn ſogar iſt haͤrter als das unſre; daher auch alle Landthiere rings um den Menſchen (vielleicht
den
*) Vom koͤrperlichen weſentlichen Unterſchiede der Thiere und Men- ſchen, Goͤttingen 1771.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0242"n="240[220]"/><p>Nun ward mit dieſem zarteren Bau und mit allem was<lb/>
daraus folgte, auch freilich einer Reihe Krankheiten die<lb/>
Thuͤr geoͤfnet, von denen das Thier nichts weiß und die<lb/><hirendition="#fr">Moſkati</hi><noteplace="foot"n="*)">Vom koͤrperlichen weſentlichen Unterſchiede der Thiere und Men-<lb/>ſchen, Goͤttingen 1771.</note> beredt herzaͤhlet. Das Blut, das ſeinen Kreis-<lb/>
lauf in einer aufrechten Maſchine verrichtet, das Herz, das<lb/>
in eine ſchiefe Lage gedraͤngt iſt, die Eingeweide, die in ei-<lb/>
nem ſtehenden Behaͤltniß ihr Werk treiben; allerdings ſind<lb/>
dieſe Theile bei uns mehreren Gefahren der Zerruͤttung aus-<lb/>
geſetzt als in einem thieriſchen Koͤrper. Jnſonderheit, ſcheint<lb/>
es, muß das weibliche Geſchlecht ſeine groͤßere Zartheit auch<lb/>
theurer als wir erkaufen —— Jndeſſen iſt auch hierinn die<lb/>
Wohlthat der Natur tauſendfach erſetzend und mildernd:<lb/>
denn unſre Geſundheit, unſer Wohlſeyn, alle Empfindungen<lb/>
und Reize unſres Weſens ſind geiſtiger und feiner. Kein<lb/>
Thier genießt einen einzigen Augenblick menſchlicher Geſund-<lb/>
heit und Freude: es koſtet keinen Tropfen des Nektarſtroms,<lb/>
den der Menſch trinkt; ja auch blos koͤrperlich betrachtet.<lb/>ſind ſeine Krankheiten zwar weniger an der Zahl, weil ſein<lb/>
Koͤrperbau groͤber iſt, aber dafuͤr deſto fortwirkender und<lb/>
veſter. Sein Zellengewebe, ſeine Nervenhaͤute, ſeine Arte-<lb/>
rien, Knochen, ſein Gehirn ſogar iſt haͤrter als das unſre;<lb/>
daher auch alle Landthiere rings um den Menſchen (vielleicht<lb/><fwplace="bottom"type="catch">den</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[240[220]/0242]
Nun ward mit dieſem zarteren Bau und mit allem was
daraus folgte, auch freilich einer Reihe Krankheiten die
Thuͤr geoͤfnet, von denen das Thier nichts weiß und die
Moſkati *) beredt herzaͤhlet. Das Blut, das ſeinen Kreis-
lauf in einer aufrechten Maſchine verrichtet, das Herz, das
in eine ſchiefe Lage gedraͤngt iſt, die Eingeweide, die in ei-
nem ſtehenden Behaͤltniß ihr Werk treiben; allerdings ſind
dieſe Theile bei uns mehreren Gefahren der Zerruͤttung aus-
geſetzt als in einem thieriſchen Koͤrper. Jnſonderheit, ſcheint
es, muß das weibliche Geſchlecht ſeine groͤßere Zartheit auch
theurer als wir erkaufen — — Jndeſſen iſt auch hierinn die
Wohlthat der Natur tauſendfach erſetzend und mildernd:
denn unſre Geſundheit, unſer Wohlſeyn, alle Empfindungen
und Reize unſres Weſens ſind geiſtiger und feiner. Kein
Thier genießt einen einzigen Augenblick menſchlicher Geſund-
heit und Freude: es koſtet keinen Tropfen des Nektarſtroms,
den der Menſch trinkt; ja auch blos koͤrperlich betrachtet.
ſind ſeine Krankheiten zwar weniger an der Zahl, weil ſein
Koͤrperbau groͤber iſt, aber dafuͤr deſto fortwirkender und
veſter. Sein Zellengewebe, ſeine Nervenhaͤute, ſeine Arte-
rien, Knochen, ſein Gehirn ſogar iſt haͤrter als das unſre;
daher auch alle Landthiere rings um den Menſchen (vielleicht
den
*) Vom koͤrperlichen weſentlichen Unterſchiede der Thiere und Men-
ſchen, Goͤttingen 1771.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 240[220]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/242>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.