Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

kommen organisirt, daß er auf einer höchsten Stufe stehet
und wenige Varietäten, die nicht einmal Anomalien zu nen-
nen sind, sich an ihm möglich fanden.

Wodurch nun dieses? Abermals durch seine aufrechte
Gestalt; durch nichts anders. Gingen wir, wie Bär und
Affe, auf allen Vieren: so lasset uns nicht zweifeln, daß
auch die Menschenracen (wenn mir das unedle Wort erlaubt
ist) ihr eingeschränkteres Vaterland haben und nie verlassen
würden. Der Menschenbär würde sein kaltes, der Men-
schenaffe sein warmes Vaterland lieben: so wie wir noch ge-
wahr werden, daß je thierischer eine Nation ist, desto mehr
ist sie mit Banden des Leibes und der Seele an ihr Land und
Klima bevestigt.

Als die Natur den Menschen erhob, erhob sie ihn zur
Herrschaft über die Erde. Seine aufrechte Gestalt gab ihm
mit einem feiner-organisirten Bau auch einen künstlichern
Blutumlauf, eine vielartigere Mischung der Lebenssäfte,
also auch jene innigere, vestere Temperatur der Lebens-
wärme
, mit der er allein ein Bewohner Siberiens und Afri-
ka's seyn konnte. Nur durch seinen aufgerichteten, künstli-
chern, organischen Bau ward er vermögend, eine Hitze und
Kälte zu ertragen, die kein andres Erdengeschöpf umfasset
und sich dennoch nur im kleinsten Maas zu verändern.


Nun
E e 2

kommen organiſirt, daß er auf einer hoͤchſten Stufe ſtehet
und wenige Varietaͤten, die nicht einmal Anomalien zu nen-
nen ſind, ſich an ihm moͤglich fanden.

Wodurch nun dieſes? Abermals durch ſeine aufrechte
Geſtalt; durch nichts anders. Gingen wir, wie Baͤr und
Affe, auf allen Vieren: ſo laſſet uns nicht zweifeln, daß
auch die Menſchenracen (wenn mir das unedle Wort erlaubt
iſt) ihr eingeſchraͤnkteres Vaterland haben und nie verlaſſen
wuͤrden. Der Menſchenbaͤr wuͤrde ſein kaltes, der Men-
ſchenaffe ſein warmes Vaterland lieben: ſo wie wir noch ge-
wahr werden, daß je thieriſcher eine Nation iſt, deſto mehr
iſt ſie mit Banden des Leibes und der Seele an ihr Land und
Klima beveſtigt.

Als die Natur den Menſchen erhob, erhob ſie ihn zur
Herrſchaft uͤber die Erde. Seine aufrechte Geſtalt gab ihm
mit einem feiner-organiſirten Bau auch einen kuͤnſtlichern
Blutumlauf, eine vielartigere Miſchung der Lebensſaͤfte,
alſo auch jene innigere, veſtere Temperatur der Lebens-
waͤrme
, mit der er allein ein Bewohner Siberiens und Afri-
ka's ſeyn konnte. Nur durch ſeinen aufgerichteten, kuͤnſtli-
chern, organiſchen Bau ward er vermoͤgend, eine Hitze und
Kaͤlte zu ertragen, die kein andres Erdengeſchoͤpf umfaſſet
und ſich dennoch nur im kleinſten Maas zu veraͤndern.


Nun
E e 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0241" n="239[219]"/>
          <p>kommen organi&#x017F;irt, daß er auf einer ho&#x0364;ch&#x017F;ten Stufe &#x017F;tehet<lb/>
und wenige Varieta&#x0364;ten, die nicht einmal Anomalien zu nen-<lb/>
nen &#x017F;ind, &#x017F;ich an ihm mo&#x0364;glich fanden.</p><lb/>
          <p>Wodurch nun die&#x017F;es? Abermals durch &#x017F;eine aufrechte<lb/>
Ge&#x017F;talt; durch nichts anders. Gingen wir, wie Ba&#x0364;r und<lb/>
Affe, auf allen Vieren: &#x017F;o la&#x017F;&#x017F;et uns nicht zweifeln, daß<lb/>
auch die Men&#x017F;chenracen (wenn mir das unedle Wort erlaubt<lb/>
i&#x017F;t) ihr einge&#x017F;chra&#x0364;nkteres Vaterland haben und nie verla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wu&#x0364;rden. Der Men&#x017F;chenba&#x0364;r wu&#x0364;rde &#x017F;ein kaltes, der Men-<lb/>
&#x017F;chenaffe &#x017F;ein warmes Vaterland lieben: &#x017F;o wie wir noch ge-<lb/>
wahr werden, daß je thieri&#x017F;cher eine Nation i&#x017F;t, de&#x017F;to mehr<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie mit Banden des Leibes und der Seele an ihr Land und<lb/>
Klima beve&#x017F;tigt.</p><lb/>
          <p>Als die Natur den Men&#x017F;chen erhob, erhob &#x017F;ie ihn zur<lb/>
Herr&#x017F;chaft u&#x0364;ber die Erde. Seine aufrechte Ge&#x017F;talt gab ihm<lb/>
mit einem feiner-organi&#x017F;irten Bau auch einen ku&#x0364;n&#x017F;tlichern<lb/>
Blutumlauf, eine vielartigere Mi&#x017F;chung der Lebens&#x017F;a&#x0364;fte,<lb/>
al&#x017F;o auch jene <hi rendition="#fr">innigere, ve&#x017F;tere Temperatur der Lebens-<lb/>
wa&#x0364;rme</hi>, mit der er allein ein Bewohner Siberiens und Afri-<lb/>
ka's &#x017F;eyn konnte. Nur durch &#x017F;einen aufgerichteten, ku&#x0364;n&#x017F;tli-<lb/>
chern, organi&#x017F;chen Bau ward er vermo&#x0364;gend, eine Hitze und<lb/>
Ka&#x0364;lte zu ertragen, die kein andres Erdenge&#x017F;cho&#x0364;pf umfa&#x017F;&#x017F;et<lb/>
und &#x017F;ich dennoch nur im klein&#x017F;ten Maas zu vera&#x0364;ndern.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">E e 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Nun</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239[219]/0241] kommen organiſirt, daß er auf einer hoͤchſten Stufe ſtehet und wenige Varietaͤten, die nicht einmal Anomalien zu nen- nen ſind, ſich an ihm moͤglich fanden. Wodurch nun dieſes? Abermals durch ſeine aufrechte Geſtalt; durch nichts anders. Gingen wir, wie Baͤr und Affe, auf allen Vieren: ſo laſſet uns nicht zweifeln, daß auch die Menſchenracen (wenn mir das unedle Wort erlaubt iſt) ihr eingeſchraͤnkteres Vaterland haben und nie verlaſſen wuͤrden. Der Menſchenbaͤr wuͤrde ſein kaltes, der Men- ſchenaffe ſein warmes Vaterland lieben: ſo wie wir noch ge- wahr werden, daß je thieriſcher eine Nation iſt, deſto mehr iſt ſie mit Banden des Leibes und der Seele an ihr Land und Klima beveſtigt. Als die Natur den Menſchen erhob, erhob ſie ihn zur Herrſchaft uͤber die Erde. Seine aufrechte Geſtalt gab ihm mit einem feiner-organiſirten Bau auch einen kuͤnſtlichern Blutumlauf, eine vielartigere Miſchung der Lebensſaͤfte, alſo auch jene innigere, veſtere Temperatur der Lebens- waͤrme, mit der er allein ein Bewohner Siberiens und Afri- ka's ſeyn konnte. Nur durch ſeinen aufgerichteten, kuͤnſtli- chern, organiſchen Bau ward er vermoͤgend, eine Hitze und Kaͤlte zu ertragen, die kein andres Erdengeſchoͤpf umfaſſet und ſich dennoch nur im kleinſten Maas zu veraͤndern. Nun E e 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/241
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 239[219]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/241>, abgerufen am 24.11.2024.