den Gesetzen seines ewigen Entwurfs zeigte? Was ist das menschliche Geschlecht im Ganzen, als eine Heerde ohne Hirten? oder wie jener klagende Weise sagt: Lässest du sie gehen wie Fische im Meer und wie Ge- würm, das keinen Herren hat? -- Oder hat- ten sie nicht nöthig, den Plan zu wissen? Jch glaube es wohl; denn welcher Mensch übersiehet nur den kleinen Ent- wurf seines eignen Lebens? und doch siehet er, so weit er sehen soll und weiß gnug, um seine Schritte zu leiten; in- dessen wird nicht auch eben dieses Nichtwissen zum Vor- wande großer Misbräuche? Wie viele sind, die, weil sie keinen Plan sehen, es geradezu läugnen, daß irgend ein Plan sei oder die wenigstens mit scheuem Zittern daran den- ken und zweifelnd glauben und glaubend zweifeln. Sie wehren sich mit Macht, das menschliche Geschlecht nicht als einen Ameishaufen zu betrachten, wo der Fuß eines Stär- kern, der unförmlicher Weise selbst Ameise ist, Tausende zertritt, Tausende in ihren klein-großen Unternehmungen zernichtet, ja wo endlich die zwei größten Tyrannen der Erde, der Zufall und die Zeit, den ganzen Haufen ohne Spur fortführen und den leeren Platz einer andern fleißigen Zunft überlassen, die auch so fortgeführt werden wird, ohne daß eine Spur bleibe; -- Der stolze Mensch wehret sich, sein Geschlecht als eine solche Brut der Erde und als einen Raub
der
den Geſetzen ſeines ewigen Entwurfs zeigte? Was iſt das menſchliche Geſchlecht im Ganzen, als eine Heerde ohne Hirten? oder wie jener klagende Weiſe ſagt: Laͤſſeſt du ſie gehen wie Fiſche im Meer und wie Ge- wuͤrm, das keinen Herren hat? — Oder hat- ten ſie nicht noͤthig, den Plan zu wiſſen? Jch glaube es wohl; denn welcher Menſch uͤberſiehet nur den kleinen Ent- wurf ſeines eignen Lebens? und doch ſiehet er, ſo weit er ſehen ſoll und weiß gnug, um ſeine Schritte zu leiten; in- deſſen wird nicht auch eben dieſes Nichtwiſſen zum Vor- wande großer Misbraͤuche? Wie viele ſind, die, weil ſie keinen Plan ſehen, es geradezu laͤugnen, daß irgend ein Plan ſei oder die wenigſtens mit ſcheuem Zittern daran den- ken und zweifelnd glauben und glaubend zweifeln. Sie wehren ſich mit Macht, das menſchliche Geſchlecht nicht als einen Ameishaufen zu betrachten, wo der Fuß eines Staͤr- kern, der unfoͤrmlicher Weiſe ſelbſt Ameiſe iſt, Tauſende zertritt, Tauſende in ihren klein-großen Unternehmungen zernichtet, ja wo endlich die zwei groͤßten Tyrannen der Erde, der Zufall und die Zeit, den ganzen Haufen ohne Spur fortfuͤhren und den leeren Platz einer andern fleißigen Zunft uͤberlaſſen, die auch ſo fortgefuͤhrt werden wird, ohne daß eine Spur bleibe; — Der ſtolze Menſch wehret ſich, ſein Geſchlecht als eine ſolche Brut der Erde und als einen Raub
der
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0016"/>
den Geſetzen ſeines ewigen Entwurfs zeigte? Was iſt das<lb/>
menſchliche Geſchlecht im Ganzen, als eine Heerde ohne<lb/>
Hirten? oder wie jener klagende Weiſe ſagt: <hirendition="#fr"><hirendition="#g">Laͤſſeſt du<lb/>ſie gehen wie Fiſche im Meer und wie Ge-<lb/>
wuͤrm, das keinen Herren hat?</hi></hi>— Oder hat-<lb/>
ten ſie nicht noͤthig, den Plan zu wiſſen? Jch glaube es<lb/>
wohl; denn welcher Menſch uͤberſiehet nur den kleinen Ent-<lb/>
wurf ſeines eignen Lebens? und doch ſiehet er, ſo weit er<lb/>ſehen ſoll und weiß gnug, um ſeine Schritte zu leiten; in-<lb/>
deſſen wird nicht auch eben dieſes Nichtwiſſen zum Vor-<lb/>
wande großer Misbraͤuche? Wie viele ſind, die, weil ſie<lb/>
keinen Plan ſehen, es geradezu laͤugnen, daß irgend ein<lb/>
Plan ſei oder die wenigſtens mit ſcheuem Zittern daran den-<lb/>
ken und zweifelnd glauben und glaubend zweifeln. Sie<lb/>
wehren ſich mit Macht, das menſchliche Geſchlecht nicht als<lb/>
einen Ameishaufen zu betrachten, wo der Fuß eines Staͤr-<lb/>
kern, der unfoͤrmlicher Weiſe ſelbſt Ameiſe iſt, Tauſende<lb/>
zertritt, Tauſende in ihren klein-großen Unternehmungen<lb/>
zernichtet, ja wo endlich die zwei groͤßten Tyrannen der Erde,<lb/>
der Zufall und die Zeit, den ganzen Haufen ohne Spur<lb/>
fortfuͤhren und den leeren Platz einer andern fleißigen Zunft<lb/>
uͤberlaſſen, die auch ſo fortgefuͤhrt werden wird, ohne daß<lb/>
eine Spur bleibe; — Der ſtolze Menſch wehret ſich, ſein<lb/>
Geſchlecht als eine ſolche Brut der Erde und als einen Raub<lb/><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></front></text></TEI>
[0016]
den Geſetzen ſeines ewigen Entwurfs zeigte? Was iſt das
menſchliche Geſchlecht im Ganzen, als eine Heerde ohne
Hirten? oder wie jener klagende Weiſe ſagt: Laͤſſeſt du
ſie gehen wie Fiſche im Meer und wie Ge-
wuͤrm, das keinen Herren hat? — Oder hat-
ten ſie nicht noͤthig, den Plan zu wiſſen? Jch glaube es
wohl; denn welcher Menſch uͤberſiehet nur den kleinen Ent-
wurf ſeines eignen Lebens? und doch ſiehet er, ſo weit er
ſehen ſoll und weiß gnug, um ſeine Schritte zu leiten; in-
deſſen wird nicht auch eben dieſes Nichtwiſſen zum Vor-
wande großer Misbraͤuche? Wie viele ſind, die, weil ſie
keinen Plan ſehen, es geradezu laͤugnen, daß irgend ein
Plan ſei oder die wenigſtens mit ſcheuem Zittern daran den-
ken und zweifelnd glauben und glaubend zweifeln. Sie
wehren ſich mit Macht, das menſchliche Geſchlecht nicht als
einen Ameishaufen zu betrachten, wo der Fuß eines Staͤr-
kern, der unfoͤrmlicher Weiſe ſelbſt Ameiſe iſt, Tauſende
zertritt, Tauſende in ihren klein-großen Unternehmungen
zernichtet, ja wo endlich die zwei groͤßten Tyrannen der Erde,
der Zufall und die Zeit, den ganzen Haufen ohne Spur
fortfuͤhren und den leeren Platz einer andern fleißigen Zunft
uͤberlaſſen, die auch ſo fortgefuͤhrt werden wird, ohne daß
eine Spur bleibe; — Der ſtolze Menſch wehret ſich, ſein
Geſchlecht als eine ſolche Brut der Erde und als einen Raub
der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/16>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.