2. Niemand mag eine Grenze ziehen, wo eine augenscheinliche Wirkung Beweis einer inwohnenden Kraft seyn könne und wo sie es nicht mehr seyn soll. Denen mit uns lebenden Thieren trauen wir Gefühl und Gedanken zu, weil wir ihre tägliche Gewohnheit vor uns sehen; andre können hievon deswegen nicht ausgeschlossen seyn, weil Wir sie nicht nahe und innig gnug kennen oder weil uns ihre Werke zu kunstreich dünken: denn unsre Un- wissenheit oder Kunstlosigkeit ist kein absoluter Maasstab al- ler Kunstideen und Kunstgefühle der belebten Schöpfung.
3. Also. Wo Kunst geübt wird, ist ein Kunst- sinn, der sie übet und wo ein Geschöpf durch Thaten zeigt, daß es Begebenheiten der Natur zuvor wisse, indem es ihnen zu entgehen trachtet; da muß es einen innern Sinn, ein Or- gan, ein Medium dieser Voraussicht haben; wir mögens begreifen können oder nicht. Die Kräfte der Natur werden deshalb nicht verändert.
4. Es mögen viel Medien in der Schöpfung seyn, von denen wir nicht das mindeste wissen, weil wir kein Organ zu ihnen haben; ja es müssen derselben viel seyn, da wir fast bey jedem Geschöpf Wirkungen sehen, die wir uns aus unsrer Organisation nicht zu erklären ver- mögen.
5. Die
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2. Niemand mag eine Grenze ziehen, wo eine augenſcheinliche Wirkung Beweis einer inwohnenden Kraft ſeyn koͤnne und wo ſie es nicht mehr ſeyn ſoll. Denen mit uns lebenden Thieren trauen wir Gefuͤhl und Gedanken zu, weil wir ihre taͤgliche Gewohnheit vor uns ſehen; andre koͤnnen hievon deswegen nicht ausgeſchloſſen ſeyn, weil Wir ſie nicht nahe und innig gnug kennen oder weil uns ihre Werke zu kunſtreich duͤnken: denn unſre Un- wiſſenheit oder Kunſtloſigkeit iſt kein abſoluter Maasſtab al- ler Kunſtideen und Kunſtgefuͤhle der belebten Schoͤpfung.
3. Alſo. Wo Kunſt geuͤbt wird, iſt ein Kunſt- ſinn, der ſie uͤbet und wo ein Geſchoͤpf durch Thaten zeigt, daß es Begebenheiten der Natur zuvor wiſſe, indem es ihnen zu entgehen trachtet; da muß es einen innern Sinn, ein Or- gan, ein Medium dieſer Vorausſicht haben; wir moͤgens begreifen koͤnnen oder nicht. Die Kraͤfte der Natur werden deshalb nicht veraͤndert.
4. Es moͤgen viel Medien in der Schoͤpfung ſeyn, von denen wir nicht das mindeſte wiſſen, weil wir kein Organ zu ihnen haben; ja es muͤſſen derſelben viel ſeyn, da wir faſt bey jedem Geſchoͤpf Wirkungen ſehen, die wir uns aus unſrer Organiſation nicht zu erklaͤren ver- moͤgen.
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2. Niemand mag eine Grenze ziehen, wo eine
augenſcheinliche Wirkung Beweis einer inwohnenden
Kraft ſeyn koͤnne und wo ſie es nicht mehr ſeyn ſoll.
Denen mit uns lebenden Thieren trauen wir Gefuͤhl und
Gedanken zu, weil wir ihre taͤgliche Gewohnheit vor uns
ſehen; andre koͤnnen hievon deswegen nicht ausgeſchloſſen
ſeyn, weil Wir ſie nicht nahe und innig gnug kennen oder
weil uns ihre Werke zu kunſtreich duͤnken: denn unſre Un-
wiſſenheit oder Kunſtloſigkeit iſt kein abſoluter Maasſtab al-
ler Kunſtideen und Kunſtgefuͤhle der belebten Schoͤpfung.
3. Alſo. Wo Kunſt geuͤbt wird, iſt ein Kunſt-
ſinn, der ſie uͤbet und wo ein Geſchoͤpf durch Thaten zeigt,
daß es Begebenheiten der Natur zuvor wiſſe, indem es ihnen
zu entgehen trachtet; da muß es einen innern Sinn, ein Or-
gan, ein Medium dieſer Vorausſicht haben; wir moͤgens
begreifen koͤnnen oder nicht. Die Kraͤfte der Natur werden
deshalb nicht veraͤndert.
4. Es moͤgen viel Medien in der Schoͤpfung
ſeyn, von denen wir nicht das mindeſte wiſſen, weil
wir kein Organ zu ihnen haben; ja es muͤſſen derſelben
viel ſeyn, da wir faſt bey jedem Geſchoͤpf Wirkungen ſehen,
die wir uns aus unſrer Organiſation nicht zu erklaͤren ver-
moͤgen.
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/137>, abgerufen am 25.11.2024.
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