diese befördert nach Classen und Arten allmälich den feinern Strom, der die edlern Theile befeuchtet, je mehr die Natur jene niedrigern einschränkte. Stolzer Mensch, blicke auf die erste nothdürftige Anlage deiner Mitgeschöpfe zurück, du trägst sie noch mit dir; du bist ein Speisekanal, wie deine niedrigern Brüder.
Nur unendlich hat uns die Natur gegen sie veredelt. Die Zähne, die bei Jnsekten und andern Thieren Hände seyn müssen, den Raub zu halten und zu zerreissen, die Kie- fer, die bei Fischen und Raubthieren mit wunderbarer Macht wirken; wie edel sind sie bei dem Menschen zurückgesetzt und ihre ihnen noch einwohnende Stärke gezähmet *). Die vie- len Magen der niedrigern Geschöpfe sind bei ihm und einigen Landthieren, die sich von innen seiner Gestalt nähern, in Ei- nen zusammengepreßt und sein Mund endlich ist durch das reineste Göttergeschenk, die Rede, geheiligt. Würmer, Jn- sekten, Fische, die mehresten Amphibien sind stumm mit dem Munde: auch der Vogel tönet nur mit der Kehle: jedes der Landthiere hat wenige herrschende Schälle, so viel zur Haus- haltung seines Geschlechts gehören; der Mensch allein besitzt
wahre
*) Man sehe von der Kraft dieser Theile Hallers Element. Phy- siol. T. VI. p. 14. 15.
N 2
dieſe befoͤrdert nach Claſſen und Arten allmaͤlich den feinern Strom, der die edlern Theile befeuchtet, je mehr die Natur jene niedrigern einſchraͤnkte. Stolzer Menſch, blicke auf die erſte nothduͤrftige Anlage deiner Mitgeſchoͤpfe zuruͤck, du traͤgſt ſie noch mit dir; du biſt ein Speiſekanal, wie deine niedrigern Bruͤder.
Nur unendlich hat uns die Natur gegen ſie veredelt. Die Zaͤhne, die bei Jnſekten und andern Thieren Haͤnde ſeyn muͤſſen, den Raub zu halten und zu zerreiſſen, die Kie- fer, die bei Fiſchen und Raubthieren mit wunderbarer Macht wirken; wie edel ſind ſie bei dem Menſchen zuruͤckgeſetzt und ihre ihnen noch einwohnende Staͤrke gezaͤhmet *). Die vie- len Magen der niedrigern Geſchoͤpfe ſind bei ihm und einigen Landthieren, die ſich von innen ſeiner Geſtalt naͤhern, in Ei- nen zuſammengepreßt und ſein Mund endlich iſt durch das reineſte Goͤttergeſchenk, die Rede, geheiligt. Wuͤrmer, Jn- ſekten, Fiſche, die mehreſten Amphibien ſind ſtumm mit dem Munde: auch der Vogel toͤnet nur mit der Kehle: jedes der Landthiere hat wenige herrſchende Schaͤlle, ſo viel zur Haus- haltung ſeines Geſchlechts gehoͤren; der Menſch allein beſitzt
wahre
*) Man ſehe von der Kraft dieſer Theile Hallers Element. Phy- ſiol. T. VI. p. 14. 15.
N 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0121"n="99"/><p>dieſe befoͤrdert nach Claſſen und Arten allmaͤlich den feinern<lb/>
Strom, der die edlern Theile befeuchtet, je mehr die Natur<lb/>
jene niedrigern einſchraͤnkte. Stolzer Menſch, blicke auf die<lb/>
erſte nothduͤrftige Anlage deiner Mitgeſchoͤpfe zuruͤck, du<lb/>
traͤgſt ſie noch mit dir; du biſt ein Speiſekanal, wie deine<lb/>
niedrigern Bruͤder.</p><lb/><p>Nur unendlich hat uns die Natur gegen ſie veredelt.<lb/>
Die Zaͤhne, die bei Jnſekten und andern Thieren Haͤnde<lb/>ſeyn muͤſſen, den Raub zu halten und zu zerreiſſen, die Kie-<lb/>
fer, die bei Fiſchen und Raubthieren mit wunderbarer Macht<lb/>
wirken; wie edel ſind ſie bei dem Menſchen zuruͤckgeſetzt und<lb/>
ihre ihnen noch einwohnende Staͤrke gezaͤhmet <noteplace="foot"n="*)">Man ſehe von der Kraft dieſer Theile Hallers <hirendition="#aq">Element. Phy-<lb/>ſiol. T. VI. p.</hi> 14. 15.</note>. Die vie-<lb/>
len Magen der niedrigern Geſchoͤpfe ſind bei ihm und einigen<lb/>
Landthieren, die ſich von innen ſeiner Geſtalt naͤhern, in Ei-<lb/>
nen zuſammengepreßt und ſein Mund endlich iſt durch das<lb/>
reineſte Goͤttergeſchenk, die Rede, geheiligt. Wuͤrmer, Jn-<lb/>ſekten, Fiſche, die mehreſten Amphibien ſind ſtumm mit dem<lb/>
Munde: auch der Vogel toͤnet nur mit der Kehle: jedes der<lb/>
Landthiere hat wenige herrſchende Schaͤlle, ſo viel zur Haus-<lb/>
haltung ſeines Geſchlechts gehoͤren; der Menſch allein beſitzt<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">wahre</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[99/0121]
dieſe befoͤrdert nach Claſſen und Arten allmaͤlich den feinern
Strom, der die edlern Theile befeuchtet, je mehr die Natur
jene niedrigern einſchraͤnkte. Stolzer Menſch, blicke auf die
erſte nothduͤrftige Anlage deiner Mitgeſchoͤpfe zuruͤck, du
traͤgſt ſie noch mit dir; du biſt ein Speiſekanal, wie deine
niedrigern Bruͤder.
Nur unendlich hat uns die Natur gegen ſie veredelt.
Die Zaͤhne, die bei Jnſekten und andern Thieren Haͤnde
ſeyn muͤſſen, den Raub zu halten und zu zerreiſſen, die Kie-
fer, die bei Fiſchen und Raubthieren mit wunderbarer Macht
wirken; wie edel ſind ſie bei dem Menſchen zuruͤckgeſetzt und
ihre ihnen noch einwohnende Staͤrke gezaͤhmet *). Die vie-
len Magen der niedrigern Geſchoͤpfe ſind bei ihm und einigen
Landthieren, die ſich von innen ſeiner Geſtalt naͤhern, in Ei-
nen zuſammengepreßt und ſein Mund endlich iſt durch das
reineſte Goͤttergeſchenk, die Rede, geheiligt. Wuͤrmer, Jn-
ſekten, Fiſche, die mehreſten Amphibien ſind ſtumm mit dem
Munde: auch der Vogel toͤnet nur mit der Kehle: jedes der
Landthiere hat wenige herrſchende Schaͤlle, ſo viel zur Haus-
haltung ſeines Geſchlechts gehoͤren; der Menſch allein beſitzt
wahre
*) Man ſehe von der Kraft dieſer Theile Hallers Element. Phy-
ſiol. T. VI. p. 14. 15.
N 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/121>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.